Lokalsport

„Wenn mich der Bundestrainer fragt, ob ich weitermache – jederzeit“

Handball-Nationaltorhüter Carsten Lichtlein war Gesprächsgast beim Owener SV-Cup – Weltklasseleistung bei der WM als späte Genugtuung

Es war zweifellos sein Jahr. Nicht nur, aber vor allem wegen einer herausragenden WM im Januar in Katar. Handball-Nationaltorhüter Carsten Lichtlein ist mit fast 200 Länderspielen dienstältester Akteur in der DHB-Auswahl. Sein großer Traum: Zum Abschluss eine olympische Medaille in Rio.

Handball-Profi mit Vorbildcharakter: Carsten Lichtlein.Foto: Genio Silviani
Handball-Profi mit Vorbildcharakter: Carsten Lichtlein.Foto: Genio Silviani

Carsten, es ist vermutlich keine Übertreibung, wenn man sagt, Sie sind momentan in der Form Ihres Lebens.

Lichtlein: Man sagt ja, ein Wein muss erst reifen, dass er wirklich gut wird. Ich bin jetzt 34 Jahre alt, fühle mich aber nicht so. Das ist das Entscheidende. Dass es in Katar so gut für mich gelaufen ist, ist eine tolle Sache. Schade nur, dass uns nicht der große Wurf gelungen ist. Aber ich glaube schon, dass wir mit unserer Leistung den Handballsport in Deutschland wieder in ein positives Licht gerückt haben.

Nach Heiner Brand und Martin Heuberger erleben Sie mit Dagur Sigurdsson nun schon den dritten Bundestrainer als Spieler. Zufall, dass Sie nun gerade unter ihm auf dem Karriere-höhepunkt angelangt sind?

Lichtlein: Er hat mir die Chance gegeben, ganz klar. Zu der Zeit mit Heiner und Martin muss man aber sagen, wir haben schon keine schlechten Torhüter in Deutschland. Henning Fritz, Jogi Bitter, jetzt Silvio Heinevetter, das sind ja alles Top-Torhüter. Ich habe das immer als Anreiz gesehen, noch mehr und noch härter zu arbeiten, um besser zu werden. Vor allem aber: nie aufzugeben. Ich glaube, diese Mentalität hat sich jetzt ausgezahlt, dass ich trotz meines Alters noch einmal die Chance bekommen habe. Bis jetzt habe ich sie genutzt.

Trotzdem hat Ihnen lange das Bild des Zurückhaltenden angehaftet, der keinen Ärger macht und seine Reservistenrolle klaglos akzeptiert. Nervt das, wenn man voraussetzt, dass Sie nicht weniger ehrgeizig sind als andere?

Lichtlein: Es stimmt schon, dass einen so ein Image verfolgt. Aber ich bin nun mal so erzogen, ich habe diesen Charakter. Ich bin ein Teamplayer und keiner, der die Mannschaft aus persönliche Gründen im Stich lässt. Wenn der Trainer so entscheidet, habe ich das zu akzeptieren. Ich bin natürlich trotzdem ehrgeizig, das muss man als Sportler schließlich sein.

Würden Sie heute nach 14 Jahren Länderspiel-Erfahrung etwas anders machen?

Lichtlein: Nein, ich würde meinen Weg genauso wieder gehen. Ich habe beim DHB alle Mannschaften durchlaufen, von der Jugend über die Junioren bis zum A-Team. Ich habe dort auch immer meine Leistungen gebracht. Kein Grund also, irgend etwas anders zu machen.

Silvio Heinevetter, Ihr aktueller Konkurrent im Kampf um die Nummer eins im deutschen Tor, ist in jeder Hinsicht ein ganz anderer Typ. Er überrascht seine Gegner oft mit völlig unorthodoxen Aktionen. Welches Spiel zeichnet Sie aus?

Lichtlein: Wir sind in der Tat grundverschiedene Typen. Bei ihm sind es die unberechenbaren Bewegungen, die ihn ausmachen, bei mir ist es eher meine Reichweite aufgrund meiner Körpergröße und das Zusammenspiel mit der Abwehr. Ich versuche, mich immer möglichst spät zu bewegen. Sein Torwartspiel ist völlig anders.

Bei Feldspielern redet man vom Alter, bei Torhütern von Reife. Welche Vorteile ergeben sich mit den Jahren?

Lichtlein: Ich spiele jetzt mein 15.  Jahr in der Nationalmannschaft, auch wenn ich nicht alle großen Turniere gespielt habe. Dazu kommen 16  Jahre in der Bundesliga. Da gewinnt man schon an Erfahrung, die wichtig ist. Die dafür sorgt, dass man mehr innere Ruhe findet. Für meine Art zu spielen, mein Stellungsspiel, ist das nicht unwichtig.

56 Prozent gehaltene Bälle im WM-Achtelfinale gegen Ägypten. Das ist für einen Handball-Torhüter eine absolute Weltklasseleistung. Danach war von „Acht-Arme-Lichtlein“ die Rede. Wie groß ist die Genugtuung, wenn man so lange auf diesen Moment warten musste?

Lichtlein: Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es allen gezeigt habe, aber es ist schon eine schöne Bestätigung, wenn man sieht, dass man für harte Arbeit doch irgendwann belohnt wird. Gerechter Lohn war dieses Spiel auf jeden Fall.

Der Bundestrainer hat gegen Ende der Euro-Quali gezeigt, dass er den Generationswechsel in der Mannschaft durchaus im Blick hat, indem er Nachwuchskräften wie Jonas Maier, Andreas Wolff oder Dario Quenstedt im Tor ihre Chance gegeben hat. Wie dick ist der Bonus, den man als 34-Jähriger hat mit Blick auf die EM nächstes Jahr in Polen?

Lichtlein: Das Thema Verjüngung stand ja schon zu Heiner Brands Zeiten ganz oben auf der Prioritätenliste. Als erfahrener Spieler wird man in diesen Prozess natürlich mit einbezogen. Ich habe immer gesagt, Verjüngung ist wichtig, aber mit Augenmaß. Man darf nicht die ganze Mannschaft umkrempeln. Das Niveau, das wir wieder erreichen wollen, erreichen wir nicht mit einer unerfahrenen Mannschaft. Du brauchst immer ein paar routinierte Spieler als Eckpfeiler. Das hat man gegen Katar gesehen, das war eine gute Mischung zwischen Alt und Jung. Für mich ist es auf jeden Fall noch ein großes Ziel, Olympia in Rio zu spielen. Danach mache ich sicher gerne den Weg frei für die Jungen.

Sie waren 2004 Europameister, 2007 Weltmeister. Eine olympische Medaille fehlt noch in der Sammlung.

Lichtlein: Das stimmt. Wir müssen jetzt zunächst das Quali-Turnier überstehen. Danach können wir weiterreden.

Danach wäre definitiv Schluss?

Lichtlein: Ich denke schon. Wenn der Bundestrainer natürlich auf mich zukommen und mich fragen würde, ob ich weitermache, wäre ich der Letzte, der Nein sagen würde. Jederzeit. Da bin ich zu sehr Teamplayer. Für mich war es immer eine Ehre, für Deutschland zu spielen. Ich wäre aber auch der Letzte, der Jüngeren, die Leistung bringen, einen Stein in den Weg legen würde.

Wird Carsten Lichtlein bei der EM im Januar in Polen die Nummer eins im deutschen Tor sein?

Lichtlein: Das entscheidet der Bundestrainer. Das habe ich im Moment leider nicht in der Hand.

Die Vorrunden-Gegner heißen Spanien, Schweden, Slowenien – es gab Zeiten, da hätte man aus deutscher Sicht von einer Todesgruppe gesprochen. Jetzt heißt es, schwer, aber machbar. Was hat sich am deutschen Selbstverständnis geändert seit der WM?

Lichtlein: Wir hatten ja auch in Katar eine schwere Gruppe, weil wir durch die Wildcard erst spät zugelost wurden. Da haben wir bewiesen, dass wir mit Mannschaften wie Dänemark, Polen oder Russland mithalten können. Deswegen müssen wir uns vor keinem Gegner fürchten. Wir sollten auf uns schauen und uns als Team präsentieren. Das ist das Wichtigste.

Die Nationalmannschaft ist die eine Seite, die Bundesliga die andere. Wie lange kann man als Torhüter bei dieser Belastung auf absolutem Top-Niveau spielen?

Lichtlein: Als Torhüter hat man natürlich immer ein etwas längeres Haltbarkeitsdatum. Es gab selbst Feldspieler wie Florian Kehrmann, der mit 36 aufgehört hat und da noch immer ein absolutes Kraftpaket war. Als Torhüter kann man da sicher noch ein paar Jahre draufpacken.

Der VfL Gummersbach steigt gegen Meister Kiel am 23. August gleich mit einem richtigen Kracher in die Saison ein. Wo soll es hingehen mit dem VfL in der neuen Saison?

Lichtlein: Gegen Kiel ist natürlich gleich das Highlight der Saison. Deswegen spielen wir auch nicht daheim in der Schwalbe-Arena, sondern in der Westfalen-Halle in Dortmund. Die wird ausverkauft sein. Nach Platz acht dieses Jahr wollen wir natürlich eins drauflegen, aber wir haben eine sehr junge Mannschaft.

Ist Europa ein Thema?

Lichtlein: Bis in drei Jahren, so lautet das Ziel. Die letzte Saison war eigentlich gar nicht so schlecht, bis auf ein paar Aussetzer. Um einen Europapokalplatz zu erreichen, muss man die ausschalten.

Carsten Lichtlein ist am 4. November 1980 in Würzburg geboren und spielte in der Jugend bei der TG Heidingsfeld. Erste Station in der Handball-Bundesliga war von 2 000 an der TV Großwallstadt, wo Lichtlein fünf Jahre lang zwischen den Pfosten stand. Die meisten Bundesligaspiele bestritt der 34-Jährige im Trikot des TBV Lemgo, wo er 2005 die Nachfolge von Christian Ramota antrat. Dank seiner Körpergröße von 2,02 Meter verfügt Lichtlein über eine enorme Spannweite. Sein Länderspiel-Debüt in der A-Nationalmannschaft feierte er am 27. November 2001 unter Heiner Brand in Aichwald gegen Österreich. Seitdem hat er knapp 200 Länderspiele für den DHB bestritten. Größter Erfolg war der Gewinn des WM-Titels 2007 im eigenen Land. Lichtlein wurde vom damaligen Bundestrainer Heiner Brand erst nach der Vorrunde nachnominiert. bk