Lokalsport
Wie Beachvolleyball, nur ohne Hände

Trendsport Der Kirchheimer Lukas Kicherer gehört zu Europas besten Footvolley-Spielern. Dieses Wochenende tritt er in Schwäbisch Gmünd gegen die internationale Konkurrenz an. Von Max Pradler

Abgedroschene Fußballer-Weisheiten wie „Das Runde muss ins Eckige“ oder „Flach spielen, hoch gewinnen“ sind wohl selbst den allermeisten Nicht-Sportlern ein Begriff. Würde der Kirchheimer Lukas Kicherer diese Floskeln allerdings berücksichtigen, wäre er nicht einer der Besten in seiner Sportart: Der 24-Jährige gehört zur europäischen Elite im Footvolley.

Die Trendsportart, die in den 60er-Jahren ihren Ursprung an der Copacabana hatte, ist eine akrobatische Abwandlung des Beachvolleyballs. „Bloß eben ohne Hände“, erklärt Lukas Kicherer. Ansonsten sind (fast) alle Regeln gleich: Die Teams bestehen aus zwei Spielern, die mit maximal drei Kontakten den Ball über das 2,20 Meter hohe Netz bugsieren müssen. Ein gro­ßer Maulwurfshügel aus Sand dient als Stütze für die Angabe; wenn der Ball den Boden des gegnerischen Feldes berührt, gibt es einen Punkt. Wer zuerst 18 Zähler erzielt, gewinnt einen Satz.

Dass es im Footvolley vor allem auf jede Menge Körperbeherrschung und Ausdauer ankommt, zeigen allein die spektakulären Ballwechsel. Artistische Fallrückzieher am Netz – auch „Shark Attack“ genannt –, bei denen die Athleten den Ball oberhalb der Netzkante mit dem Fuß spielen, gehören zum Standard-Repertoire. Hinzu kommen technisch anspruchsvolle Brustannahmen, Kopfbälle und Schulterpässe aus ­schier unmöglichen Positionen.

Doch genau dieses Fundament an Anforderungen macht den Sport für Einsteiger zu einer echten Hürde. „Anfangs ist es ­enorm schwierig und man hat das Gefühl, es klappt nichts. Deshalb sind viel Selbstdisziplin und eine hohe Frus­trationstoleranz nötig. Trotzdem hat mich die Sportart sofort angefixt und ich wollte mehr“, erinnert sich Lukas Kicherer, der vor knapp sechs Jahren durch einen Kommilitonen an der TU Darmstadt zum Footvolley kam. Besonders die unkomplizierten Bedingungen hatten es dem Multitalent zum Start angetan: „Während es in anderen Sportarten einiges an Equipment, Klamotten und Schuhen benö­tigt, reichen beim Footvolley eine kurze Hose und ein Ball.“ Dass er als leidenschaftlicher Kicker einst sämtliche Jugendteams des VfL Kirchheim durchlaufen hatte und 2016 sogar ein halbes Jahr lang in der Bezirksliga für die Teckstädter auf dem Platz stand, half dem Masterand im Wirtschaftsingenieurwesen zu Beginn seiner Footvolley-Laufbahn nur bedingt weiter. „Wenn man etwas Ballgefühl mitbringt, ist das natürlich von Vorteil. Aber es gehört noch viel mehr dazu: Sprungkraft, Technik, Freestyle und die ganzen akrobatischen Bewegungsabläufe. Es dauerte eine Weile, bis das alles einigermaßen funktioniert hat“, erinnert sich Lukas Kicherer.

Inzwischen stehen drei bis vier Trainingseinheiten pro Woche auf dem Programm – stets in Eigenregie. „Wir trainieren immer in größeren Gruppen mit acht bis zwölf Spielern. Jede Woche ist ein anderer für die Trainingsinhalte verantwortlich. Einen Trainer wie in anderen Sportarten gibt es nicht, wir organisieren alles selbst“, schildert Kicherer. Hinzu kommen vereinzelt Regenerationseinheiten. „Hier mache ich gerne Yoga, das ist für mich ein toller Ausgleich zum actionreichen Sport.“

Neben dem Spaß hat sich bei dem jungen Kirchheimer aber auch längst der Erfolg eingestellt. Er gilt seit geraumer Zeit als eines der nationalen Aushängeschilder im Footvolley und vertrat die deutschen Farben bereits mehrfach auf internationalen Wettkämpfen in Brasilien, Portugal oder Italien. Vergangenes Jahr führte er gemeinsam mit seinem zehn Jahre älteren Teamkollegen Joel Nißlein (Berlin) die deutsche Rangliste an. In der aktuellen Wertung belegt Kicherer den vierten Platz, da er aufgrund eines Auslandssemesters in Valencia nicht an allen gro­ßen Turnieren teilnehmen konnte.

Die EM im Blick

Ab Freitag zeigt Lukas Kicherer in Schwäbisch Gmünd sein Können. Am Stadtstrand „Playa de Gamundia“ steht an diesem Wochenende eines der prestigeträchtigsten Turniere der Szene auf dem Programm, bei dem sich die besten männlichen und weiblichen Teams Europas miteinander messen. Insgesamt 16 Duos umfasst das männliche Teilnehmerfeld. Lukas Kicherer und Partner Joel Nißlein gehen dabei als eines von zwei deutschen Teams an den Start. Ob beim Heimspiel im Schwabenland ein Turniersieg drin ist? Der 24-Jährige zeigt sich zurückhaltend: „Das Event ist qualitativ super besetzt. Vor allem die Konkurrenz aus Spanien, Israel, Italien und Portugal ist stark einzuschätzen.“ Das Erreichen des Halbfinales wäre für den jungen Mann aus Kirchheim deshalb „ein großer Erfolg“. Dazu benötige es nach der Vorrunde aber etwas Losglück, um einem frühen Aufeinandertreffen mit den großen Kalibern aus dem Weg zu gehen.

Ein gutes Abschneiden jedenfalls würde Lukas Kicherer wichtige Punkte für die Rangliste bringen, um sich – trotz des Auslandssemesters Anfang des Jahres – doch noch für die Europameisterschaft in Rom vom 9. bis 11. September zu qualifizieren.

 

In Brasilien Volkssport, in Europa wenig verbreitet

Während sich Footvolley in Brasilien in den vergangenen Jahren zum Volkssport entwickelt hat, ist die Sportart hierzulande nach wie vor eine Randerscheinung. Trotz des kürzlich gegründeten deutschen Verbands ist der Organisationsgrad eher gering und Trainingsmöglichkeiten sind dünn gesät. Die Gemeinschaft in Deutschland umfasst derzeit rund 400 aktive Spieler. „Corona hat die kleineren Sportarten in ihrer Entwicklung sehr zurückgeworfen. Das trifft leider auch uns“, weiß Lukas Kicherer.
So professionell die Akteure den Sport angehen, so wenig lukrativ ist Footvolley daher derzeit noch in Europa. Bei den Turnieren der deutschen Rangliste gibt es keine Preisgelder, bei internationalen Wettbewerben bekommen Footvolleyspieler um die 2000 Euro für einen Sieg, bei der EM sind es sogar nur 1000 Euro. Mittlerweile erhalten die Spieler immerhin etwas Unterstützung vom Verband. Sehr zur Freude von Lukas Kicherer: „Wenn es gut läuft, komme ich jetzt auf null raus. Bis dato habe ich aber immer draufgezahlt, weil eben stets Reise- und Unterkunftskosten anfallen.“
Bei Olympia 2016 wurde Footvolley im Beachvolleyball-Stadion an der Copacabana präsentiert, um das Potenzial als olympische Disziplin zu testen. max