Die älteren unter den Fußballfans werden sich noch erinnern: In den 70er und 80er Jahren trieb ein sogenannter Fluch, von dem behauptet wurde, er laste auf dem Lauterer Betzenberg, den damaligen Bayern-Kapitän Paul Breitner zu einem Satz, aus dem die blanke Verzweiflung sprach: Man werde aufs Reisen künftig verzichten, sagte der, und die Punkte einfach per Post nach Kaiserslautern schicken. Gar so entmutigt sind Kirchheims Basketballer zwar noch nicht, doch beim Gedanken an Gegner Schwenningen ist manch einer inzwischen geneigt, an böse Geister zu glauben.
Fünf Begegnungen, fünf Enttäuschungen, auch nach dem Play-off-Auftakt am Samstag im Schwarzwald blieb die Dusche kalt. Eine Bauchlandung mit Ansage, sehenden Auges ins Verderben – man kann es nennen wie man will. Kirchheims Coach Igor Perovic jedenfalls hatte die Seinen ausdrücklich gewarnt: Vor einem Spielmacher wie Nate Britt, der die Kirchheimer in dieser Saison schon zweimal am Nasenring durch die Manege führte und einem Flügelmann wie Courtney Stockard, der – ginge es nach Perovic – in dieser Liga eigentlich gar nichts zu suchen hätte.
Kann man soviel spielerischer Klasse nichts Gleichwertiges entgegensetzen, bleiben nur zwei Mittel: Mut und Entschlossenheit. Von beidem war am Samstag auf Kirchheimer Seite wenig zu sehen. Deshalb ging Stockard mit 29 Punkten vom Parkett und deshalb durfte Britt seinen fünf Assists vor der Pause in der zweiten Spielhälfte fünf weitere folgen lassen, obwohl er bereits mit vier Fouls vorbelastet aus der Kabine kam. Klar: einem cleveren Typen wie Britt das fünfte Foul anzuhängen, ist eine Sache. Ihn als Ideengeber gewähren zu lassen, eine ganz andere. Knights-Sportchef Chris Schmidt, sonst eher kein Freund von Kraftausdrücken, spricht nicht zum ersten Mal in dieser Saison von einem Mangel an „Eiern.“ Für ihn ist ist klar: „Es ist uns wieder nicht gelungen, unseren körperlichen Vorteil zu nutzen. Stattdessen haben wir viel zu zaghaft und zu langsam agiert.“
Dies zu ändern, bleibt Igor Perovic nicht viel Zeit. Mit Bremerhaven ist seit gestern der nächste Gegner in der Stadt, der die Knights in der Hauptrunde zweimal klar beherrscht hat. Nach Störfeuern durch Verletzungen und Quarantäne sind die Eisbären inzwischen komplett und im Rhythmus. Der 97:73-Erfolg in Kirchheim vor drei Wochen glich einer Machtdemonstration. Gleich sechs Spieler in Reihen der Eisbären punkten im Schnitt zweistellig. Spielmacher Curtis Davis glänzt als Scorer und Vorbereiter mit dem jeweils zweitbesten Wert in der Liga. Trotzdem haben sich die Nordlichter im Auftaktspiel gegen Heidelberg am Samstag nach Verlängerung gründlich verzockt. Für Coach Michael Mai eine zwar ärgerliche aber keinesfalls entscheidende Niederlage im Titelrennen. „In diesem Turnier werden acht Viertel gespielt,“ sagt er. „Eine knappe Niederlage wie diese lässt sich im Moment noch verschmerzen.“ Eine zweite heute Abend in Kirchheim und die Stimmung an der Nordseeküste könnte allerdings kippen.
Bleibt die Frage, wie es seit vergangener Woche generell um die Motivation der Eisbären bestellt ist. Michael Mai macht keinen Hehl daraus, dass die Nachricht vom Bremerhavener Aufstiegsverzicht eingeschlagen habe wie eine Bombe. „Das war ein Schock für mich und die Mannschaft,“ meint der Amerikaner, der drei Jahre lang in Kirchheim auf der Bank saß und die Knights zweimal in die Play-offs führte. Egal, wie es heute läuft, seinen größten Erfolg hat Michael Mai bereits sicher: Vor der Abreise gestern nach Kirchheim führte er Lebensgefährtin Linda zum Standesamt.
Academics nach Kraftakt auf Kurs – Rostock patzt
Frenkie Ignjatovic und die Academics aus Heidelberg haben den erste Schritt in Richtung Aufstieg gemacht. Der 100:96-Sieg nach Verlängerung in Bremerhaven und die lange Rückreise im Bus dürften vor dem heutigen Heimspiel gegen Schwenningen allerdings einiges an Kraft gekostet haben. Ein dickes Lob zollte Ignjatovic seiner Mannschaft für einen „mentalen Kraftakt.“ Nach schwachem Beginn drehten die Gäste mit einem 17:0-Lauf im zweiten Viertel das Spiel, das nach der Halbzeitpause eng blieb. In die Verlängerung mussten die Academics dann ohne drei zentrale Kräfte: Ewan McGaughey und Albert Kuppe waren zuvor nach dem fünften persönlichen Foul raus, Jordan Geist musste nach dem zweiten unsportlichen runter.
Ernüchterung dagegen beim Topfavoriten auf den Titel in Rostock: Die Mannschaft von Dirk Bauermann schaffte es gegen Jena nicht, die Versäumnisse aus der Anfangshälfte wettzumachen. Die Seawolves lagen im zweiten Viertel zeitweilig mit 21 Punkten in Rückstand, holten sich Mitte des Schlussviertels aber eine knappe Führung zurück. In der Crunchtime verließ Rostock dann das Wurfglück, während Casey Hill per Dreier und Marcus Tyus von der Freiwurflinie den Jenaer Auftaktsieg klarmachten. bk