Lokalsport

Wie der Hecht im Karpfenteich

Der HC Wernau hat mit Maike Brückmann eine Ex-Nationalspielerin in die Landesliga gelotst

Eigentlich wollten sie nur die Klasse halten, jetzt träumen Wernaus Handballerinnen vom Aufstieg. Den Unterschied macht die Frau, die seit sechs Wochen das Trikot mit der Nummer 29 trägt. Maike Brückmann hat sich für einen ungewöhnlichen Gang entschieden: Von der Nationalmannschaft auf Umwegen in die Landesliga.

/Handball-Landesliga Frauen SG Lenningen-HC Wernau (schwarz)Nr 29 im schwarzen Trikot Maike BrŸckmann
/Handball-Landesliga Frauen SG Lenningen-HC Wernau (schwarz)Nr 29 im schwarzen Trikot Maike BrŸckmann

Wernau. Am Anfang blieb sie sogar kurze Zeit unentdeckt. Beim HC Wernau hatte keiner das Thema an die große Glocke gehängt und als sich beim Gegner das vage Gefühl einstellte, dass hier etwas nicht stimmt, hatte es im Kasten schon ein Dutzend Mal geklingelt. 61 Tore in sechs Spielen – Dafür musste Maike Brückmann wie zuletzt in Lenningen nicht einmal über die volle Distanz gehen. Vorbelastet mit zwei Zeitstrafen reichte gegen die SG auch ein Teilzeitjob, um das halbe Dutzend voll zu machen.

Was bringt eine Ex-Nationalspielerin dazu, in die Niederungen der Landesliga abzutauchen? Dorthin, wo – bei allem Respekt – das kleine Handball-Einmaleins an schlechten Tagen schon mal zum Problem werden kann. Wohlgemerkt: Die 1,81 Meter große Rückraumspielerin ist 27 Jahre alt. Bestes Handballerinnen-Alter, selbst dann, wenn ein Star wie Magdalena Neuner dieser Tage zeigt, dass man die sportlichen Faxen auch mit 24 schon dicke haben kann. Nun dürfte Maike Brückmann, die mit dem HC Leipzig 2009 Deutsche Meisterin wurde und bei der WM 2007 in Frank­reich dabei war, nicht annähernd den Druck der Ausnahme-­Biathletin verspürt haben. Dennoch sagt sie: „Ich hatte die Schnauze voll.“

Damit meint sie weniger den Handballsport als vielmehr die Begleitumstände im Frühsommer dieses Jahres. Da stellte ihr Zweitligist HSG Bensheim/Auerbach, mit dem sie ein Jahr zuvor den Titel in der Gruppe Süd geholt hatte, nach anhaltenden Differenzen mit dem Trainer kurzerhand die Sporttasche vor die Tür. Einen Tag vor Beginn der Saisonvorbereitung erfuhr sie, dass ihr Vertrag aufgelöst wurde. Der Frust ist das eine, dann gibt es da auch noch das reale Leben: „Ich will mich jetzt auf meinen Beruf konzentrieren“, sagt die gebürtige Heidelbergerin, die mit zwölf Jahren nach Ostfildern kam, wo auch die Eltern leben. Ihr Bruder ist seit drei Jahren Kirchheimer, sie selbst macht in Göppingen eine Ausbildung zur Versicherungsfachfrau.

Nun also Wernau. Thomas Pientka, bisher Manager der Frisch-Auf-Frauen und seit dieser Saison Sportlicher Leiter beim HC, knüpfte den Kontakt. Auszeit, Brückenjahr, Findungsphase – wie immer man es nennen will, die 27-Jährige ließ sich tatsächlich zu einem Engagement in der sechsten Liga überreden. Leicht ist ihr die Entscheidung nicht gefallen. „Zwei schlaflose Nächte hat mich das schon gekostet“, gesteht sie. Am Ende gab das Umfeld in Wernau den Ausschlag. Nach dem Erfolg der Männer, die in der Württembergliga derzeit auf Platz vier stehen, will man beim HC nun auch die Frauen nach vorn bringen. Mit Pientka an der Spitze und dem bundesligaerfahrenen Michael Steinkönig als Trainer herrscht Aufbruchstimmung am Neckar.

Das Konzept habe ihr gefallen, gibt Maike Brückmann zu, zudem wollte sie trotz einiger anderer Angebote während ihrer Berufsausbildung in der Heimat bleiben. Jetzt trainiert sie die C-Jugend-Mädchen des HC, die in der höchsten württembergischen Spielklasse das Aushängeschild des Vereins sind und begleitet einmal pro Woche das Stützpunkt-Training des HVW im Leistungszent­rum in Nellingen.

Am 5. November hat sie gegen die FSG Donzdorf/Geislingen ihr erstes Spiel in der Landesliga bestritten, dabei fast die Hälfte der Wernauer Tore erzielt. Seitdem hat der HC kein Spiel mehr verloren. „Ich mache das nicht für mein Ego“, sagt Maike Brückmann. „Ich will, dass sich diese junge Mannschaft weiterentwickelt.“ Dabei war es anfangs für beide Seiten nicht einfach, sich aufeinander einzustellen. Vieles von dem, was in der Landesliga auf dem Platz geschieht, ist für eine international erfahrene Spielerin „atypisch“, wie sie es vorsichtig beschreibt. Wenn sie heute sieht, dass das Spiel auch ohne sie läuft, tritt sie freiwillig ab. So wie am Sonntag in Lenningen. Ihr Trainer Michael Steinkönig spricht von einem Glücksgriff. „Die Mannschaft hat einen Kopf gebraucht“, sagt er. „Maike ist jemand, der im Spiel genau weiß, was zu tun ist.“ Entscheidend ist wie immer die Dosis. „Wenn ich jedes Spiel von Beginn an in die Hand nehme“, sagt die Frau mit der Trikotnummer 29, „dann ist niemand in der Mannschaft geholfen.“

Was in ein paar Monaten ist, wenn die Saison zu Ende geht, darüber zerbricht sie sich jetzt noch nicht den Kopf. Gut möglich, dass sie das Feuer noch einmal packt, sollte irgendwann ein Anruf kommen. Ob in Nellingen, in Metzingen oder drüben in der Göppinger EWS-Arena, der Weg zu hochklassigem Handball ist von hier aus in keine Himmelsrichtung weit. „Ich möchte einfach sehen, was passiert.“ Bis dahin genießt sie, dass nun mehr Zeit für Hobbys bleibt. Sich ihrer Leidenschaft, der Fotografie, zu widmen oder am Wochenende einfach mal zum Skifahren gehen, das alles war früher kaum möglich.

Dass sie in Wernau bleibt – auch das ist nicht ausgeschlossen. Dass dies kein weiteres Jahr Landesliga bedeuten würde, dafür will sie alles tun. Auch wenn ihr Trainer Zurückhaltung übt, wenn er sagt: „Ich nehme mir nicht raus, zu sagen, wir spielen oben mit.“ Bei Maike Brückmann klingt das anders: „Mein Ziel ist klar, und das weiß er.“