Lokalsport
Zwei Medaillen als  Zeichen in die Heimat

Ukraine Rollstuhlfechterin Olga Yesina hat sich bei der SV 1845 Esslingen erfolgreich auf die EM vorbereitet. Von Dominic Berner

Esslingen. Für ihre Eltern, die noch immer in der Nähe von Kiew leben, waren die Erfolge bei der EM in Warschau ein wichtiges Symbol. Die Nachricht, die sie ihnen mit Team-Gold und Einzel-Bronze senden wollte: „Mir geht es gut. Ich bin zwar weit weg von euch, mache aber trotzdem weiter.“ Ihre Familie kann die ukrainische Rollstuhlfechterin Olga Yesina zurzeit nicht sehen. Seit die 28-Jährige wegen des Krieges ihre Heimatstadt Bila Zerkwa nahe der ukrainischen Hauptstadt hinter sich ließ und in Esslingen bei der SV 1845 unterkam, trennen sie mehr als 1 500 Kilometer Luftlinie.

„Es war mein großer Wunsch, eine Medaille zu holen“, sagt die Neu-Esslingerin, die von ihrem Mann Dima und ihrer Trainerin Yuliya Aseyeva auch im Alltag unterstützt wird. Während der Europameisterschaften Ende Dezember ließ Yesina ihr Handy ausgeschaltet. Die Nachrichten, die tagtäglich auf sie einprasselten, sollten ihr nicht die Konzentration rauben. „Ich war ja da wegen des Turniers. Man muss abschalten,“ sagt sie. Einige ihrer Mitstreiterinnen im Nationalteam leben noch in der Ukraine. Ganz ausblenden ließ sich das dortige Geschehen also nicht. Trotzdem schafften es Yesina und das Florett-Team ins Finale, wo sich das Quartett gegen Italien den Titel holte. „Es war wichtig für das ukrainische Team, um zu zeigen: Wir können das,“ sagt Yesina. Ihr dritter Platz anschließend mit dem Florett war ihre erste Einzelmedaille bei einer internationalen Meisterschaft.

Mit dem Fechten begann Yesina, weil es in Bila Zerkwa nur zwei Sportarten für Menschen im Rollstuhl gab: Schwimmen und Fechten. Sie entschied sich gegen die Schwimmbrille und für Säbel, Florett und Degen. Mittlerweile sei der Sport „ein Teil ihres Lebens“, sagt sie. Auf den Rollstuhl ist die 28-Jährige seit ihrem sechsten Lebensjahr angewiesen: Damals fiel sie im fünften Stock aus dem Fenster. Sie verletzte sich die Wirbelsäule so schwer, dass ihre Beine seitdem gelähmt sind.

Als dieses Frühjahr russische Truppen in die Ukraine einfielen, war für sie klar: „Ich muss ausreisen.“ Über den deutschen Bundestrainer im Rollstuhlfechten, Alexander Bondar, kam der Kontakt zur SV 1845 zustande. Bondar stammt auch aus der Ukraine und ist mit Udo und Ira Ziegler vernetzt, die sich wiederum stark in der Fechtabteilung des Esslinger Clubs engagieren. Die Helferinnen und Helfer der SV verschafften der Fechterin und ihrem Mann eine Wohnung. Außerdem unterstützen sie die beiden bei Behördengängen und Formularen.

„Ich fühle mich wohl in Esslingen“, sagt Olga Yesina. Sie sei allen Menschen hier dankbar. Bei der SV habe sie gute Trainingsbedingungen, weil der Sportpark rollstuhlgerecht ist. Die EM-Teilnahme in Warschau für ihr Land, in dem sie zur Zeit nicht leben kann, war keine einfache Situation. „Ich wünsche mir, dass der Krieg schnell vorüber ist und ich wieder nach Hause zurückkehren kann,“ meint die 28-Jährige mit Blick aufs neue Jahr.