Mehr als 2 000 Fahrzeughalter aus dem Kreis Esslingen müssen zur Nachuntersuchung – Prüfung durch korrupte Gutachter
Massenhafter Plakettenbetrug

2 030 Fahrzeughalter im Landkreis haben in den vergangenen Tagen und Wochen Post vom Landratsamt bekommen. Sie werden darin aufgefordert, ihr Auto bei einer TÜV-Prüfstelle nachuntersuchen zu lassen. Der Grund: Einem Gutachter einer anderen Prüforganisation wird Plakettenbetrug im großen Stil vorgeworfen.

Kreis Esslingen. In dem Brief werden die Fahrzeughalter laut einer Sprecherin des Landratsamts aufgefordert, innerhalb der kommenden drei Wochen die Verkehrssicherheit ihres Fahrzeugs erneut bei einer Hauptuntersuchung (HU) überprüfen zu lassen – obwohl die Frist von zwei Jahren noch längst nicht abgelaufen ist. Sie alle haben ihre HU-Plakette im Jahr 2011 oder im ersten Quartal 2012 von demselben Prüfingenieur erhalten. Die Kriminalpolizei ermittelt im Fall des 58-Jährigen aus dem Kreis Reutlingen, der für zahlreiche Fahrzeuge Plaketten ausgestellt haben soll, obwohl sie zum Teil erhebliche Mängel aufwiesen oder sogar verkehrsunsicher waren. Der Sachverständige reiste mehrmals in der Woche zu vier Werkstätten im Landkreis Esslingen – alle auf den Fildern –, die zumindest zum Teil keine Zulassung als Prüfstützpunkte hatten. Dort setzte er offenbar auf Masse. „Er hat die Fahrzeuge in kürzester Zeit abgefertigt, er hat das in zehn Minuten gemacht“, sagt Christine Menyhart, Sprecherin der Esslinger Polizei. Er selbst, beziehungsweise die Werkstattbesitzer kassierten dafür jeweils zwischen 70 und 150 Euro.

Auch in den Kreisen Reutlingen, Tübingen, Ludwigsburg, Böblingen und Göppingen hat der 58-Jährige laut Menyhart falsche Prüfbescheinigungen ausgestellt. Der Mann war bereits im März aufgeflogen (wir berichteten). Die Esslinger Kripo war ihm auf die Spur gekommen und ertappte ihn in flagranti, als er einem verkehrsunsicheren Fahrzeug eine Plakette zuteilte. In seinem Auto fanden die Beamten damals 100 000 Euro. Der Mann wurde festgenommen und saß zwei Monate in Haft. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß. Der Ingenieur aus dem Kreis Reutlingen war Prüfer bei der GTS, der Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen. Dort arbeitet er inzwischen nicht mehr. In der Karlsruher GTS-Zentrale war in den vergangenen Tage telefonisch niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Dem Prüfer werden Falschbeurkundung und Bestechlichkeit im Amt vorgeworfen. „Die Werkstattbesitzer sind wegen Bestechung dran“, sagt Christine Menyhart. Zum Teil hätten sie wohl auch Autos in schlechtem Zustand angekauft, vom Prüfingenieur mit einer HU-Plakette versehen lassen und sie dann weiterverkauft. So konnten sie einen deutlich besseren Preis erzielen. So etwas nennt sich Veräußerungsbetrug.

Die Kripo habe ihre Ermittlungen noch längst nicht abgeschlossen, sagt Menyhart: „Das wird mindestens bis Ende des Jahres dauern.“ Bis zum Prozess gegen den Ingenieur wird also noch einige Zeit ins Land gehen.

Beim TÜV Süd hat man sich noch keinen Überblick über den Zustand der Fahrzeuge verschafft, die jetzt zur Nachuntersuchung gebracht werden. Dafür seien es noch zu wenige, sagt ein Sprecher. Menyhart hat von einem Fall gehört, bei dem das Auto in derart desolatem Zustand war, dass der Halter damit nicht einmal mehr den TÜV-Hof verlassen durfte.

Die Kosten für die erneute Hauptuntersuchung, so haben die Fahrzeughalter im Brief vom Landratsamt erfahren, müssen sie selbst tragen. Damit ist nicht jeder einverstanden. „Es sind deswegen schon mehrere Schreiben von Anwälten bei uns eingegangen“, sagt Menyhart. Doch für Regressforderungen ist die Polizei nicht zuständig. Mancher fragt sich auch, warum allein der TÜV Süd die Nachuntersuchungen machen darf und nicht etwa auch Dekra oder GTÜ. Menyhart erklärt, das liege daran, dass der TÜV die amtlich beauftragte technische Prüfstelle des Landes Baden-Württemberg sei und mehr Kompetenzen als die anderen habe.

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist übrigens keine empfehlenswerte Strategie: Wer dem Landratsamt keinen Nachweis für die Nachuntersuchung schickt, dem werde die Zulassung entzogen, heißt es beim Landratsamt.