Für den Grünen-Abgeordneten Matthias Gastel ist klar, dass seine Partei nach der Wahl auf der Regierungsbank sitzen wird. Als Baden-Württemberger weiß er aber auch, dass es eine große Rolle spielt, ob man der kleinere oder der größere Koalitionspartner ist: „Bis zum Wahltag wird gekämpft, überzeugt, gehofft“, ist seine Maxime angesichts noch unentschlossener Wählerinnen und Wähler. Er hat beobachtet, dass sich die Menschen in Deutschland einerseits Veränderung wünschen, andererseits personell auf Kontinuität setzen. So erklärt er sich die Beliebtheit von Olaf Scholz. Da mache auch ein Fehler wie beispielsweise der Cumex-Skandal nicht allzu viel aus, zumal das Thema zu kompliziert sei, um die Massen aufzuwühlen.
Ohnehin will Gastel nicht anderswo Mängel aufzeigen, sondern vielmehr auf die eigene Stärke setzen. Die gibt es seiner Einschätzung nach zur Genüge: „Wir haben Personal für alle Themen und das komplexeste Programm“, meint er stolz, es sei fast schon „detailverliebt“. Detailverliebtheit ist auch kein Nachteil für einen wie ihn, der sich ganz und gar der Verkehrspolitik verschrieben hat und bahnpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Da versteht sich von selbst, dass er von zu Hause mit dem ÖPNV zum Gespräch in Kirchheim kommt und dabei ohne zu murren drei Verkehrsmittel nutzt: Bus, S-Bahn und wieder Bus. Den
ist reine Gewohnheit.
Abfahrtstermin nach dem Interview hat er auf die Minute im Kopf. „Wenn man für ein Thema zuständig ist, dann muss man das auch leben“, betont er und freut sich, am Bahnhof mit vielen in Kontakt zu kommen. Keine Frage: Sein Thema ist eines der großen der Zeit. „Wer mich kennt, kommt mit Verkehrsfragen zu mir“, sagt er. Das zeigt nicht nur, dass er längst eine bekannte Größe im Wahrkreis darstellt, es macht auch deutlich, dass der ÖPNV die Menschen bewegt. Pünktlichkeit von Bahn und Bus ist Gastel ein wichtiges Anliegen für die Zukunft. Aber auch Visionäres treibt ihn um wie die mögliche Fortführung der S-Bahn nach Weilheim oder die Reaktivierung der Bahnstrecke nach Göppingen.
„Wenn das Angebot passt, steigen die Leute um“, ist Gastel zuversichtlich. Konkret ist er dafür, den ÖPNV häufiger fahren zu lassen und die Verkehrsmittel besser zu verknüpfen. Außerdem müsse die Struktur vereinfacht werden. Preissenkungen wären von Vorteil, sind aber nicht der wichtigste Punkt.
„Am Alten festhalten, rettet das Alte nicht, sondern macht alles kaputt“, weist er darauf hin, dass bereits viele Länder wie China oder Kalifornien den Verbrennermotor auslaufen ließen. „Es macht nur Sinn, das zu produzieren, was auch verkauft wird“, zeigt er sich marktorientiert. Das Elektroauto benötige zwar weniger Arbeitsplätze, doch zum einen gingen ohnehin die geburtenstärksten Jahrgänge jetzt in Rente, zum anderen entstünden neue Arbeitsplätze im IT-Bereich oder bei den Mobilitätsdienstleistungen.
Ein Thema, das den Grünen stark bewegt, ist der Flächenverbrauch. 50 Hektar würden täglich verbraucht in Deutschland, das müsse deutlich gesenkt werden auf maximal 30. Bedeutet: Bauen muss flächenschonender erfolgen, also höher und dichter. Für Gewerbe müsse man nach Brachflächen schauen und Lücken schließen. „Ich kann nicht grundätzlich ausschließen, dass man auch mal neue Gewerbegebiete braucht“, kommentiert der Filderstädter die Frage nach dem Dettinger Hungerberg. Die Entscheidung darüber sei jedoch eine rein kommunale.
„Wir hätten’s besser gemacht“, kritisiert Gastel den Umgang der Regierung mit Corona. Viel früher hätte es eines interdisziplinären Pandemie-Rats bedurft, der von vornherei auch die Folgen für Schulen, Kinder und andere Bevölkerungs- sowie Berufsgruppen beleuchtet hätte. So wären alle Corona-Maßnahmen bei der Bürgerschaft auf größere Akzeptanz gestoßen: „Transparenz ist sehr wichtig“, lautet seine Schlussfolgerung. Sein Verständnis für Impfzauderer hält sich in engen Grenzen. „Wir wollen doch schließlich den Ausweg aus der Pandemie.“
Generell hat Gastel die Erfahrung gemacht, dass es sehr sinnvoll ist, Bürger frühzeitig einzubeziehen. „Menschen, die eingebunden werden, hören alle Argumente“, meint er. Eine Bürgerbeteiligung könne sogar letztlich wirtschaftlich sein, wenn es gelingt, Widerspruch in konstruktive Bahnen zu lenken.
Vermittlung beherrscht Gastel, der weiß, dass jede Koalition mit Widersprüchen behaftet ist. Die SPD steht ihm nahe, wenn auch die Grünen eine andere Verkehrspolitik anstreben. Das Programm der FDP, die auf Freiheit setzt, ist ihm zu einseitig, an der Linken stört ihn die radikale Ablehnung von Bundeswehreinsätzen. Wie auch immer: Aufgabe der Wähler sei die Entscheidung zwischen den Parteien. Aufgabe der Parteien wiederum sei es anschließend, ein handlungsfähiges Bündnis zu schmieden. Sein Anspruch: „An uns soll keiner mehr vorbeikommen – wir wollen stärkste Kraft werden.“
Der Weg des Grünen-Abgeordneten Gastel in die Politik
Matthias Gastel ist Jahrgang 1970 und lebt in Filderstadt. Er absolvierte eine kaufmännische Berufsausbildung und legte dann die Fachhochschulreife ab. Nach Diplomen in Sozialpädagogik und Betriebswirtschaftslehre arbeitete er in der Jugendhilfe und als selbstständiger Personaldienstleister.
Engagement für andere hat der Kandidat in kirchlichen und politischen Ehrenämtern erlernt. 20 Jahre lang war er Stadtrat in Filderstadt und 15 Jahre Kreisrat im Landkreis Esslingen.
Mitglied des Bundestages ist er seit 2013. Im Verkehrsausschuss hat er sich als Sprecher für Bahnpolitik einen Namen gemacht.
Seine Motivation ist seine Überzeugung: „Wir brauchen einen anderen Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen.“ Es gelte, Ressourcen zu schonen und Klima, Böden, Wasser und Luft zu schützen. Veränderungen in der Verkehrs-, Energie- und Landwirtschaftspolitik böten hierfür große Chancen: „Es geht um unsere Lebensqualität, Gesundheit und um die Zukunft.“ tb