Kirchheim. Im kommenden Jahr wird der Kirchheimer Arbeitskreis Asyl 25 Jahre alt. Für die Ehrenamtlichen, die sich zum Teil schon jahrzehntelang in ihrer Freizeit um Flüchtlinge kümmern, ist das ein Grund zum Feiern – und dann auch wieder nicht. Die Konfliktregionen dieser Welt, aus denen Menschen nach Europa fliehen, haben sich verändert: früher war es der Balkan, dann kam Sri Lanka, heute sind es Somalia, Afghanistan und der Irak. Was sich jedoch aus Sicht der Ehrenamtlichen bis heute nicht geändert hat, sind die schwierigen Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge in Deutschland darauf warten müssen, ob man sie hier behält oder abschiebt. Und was ebenfalls gleich geblieben ist, ist ein grundsätzlicher Gedanke, den Eva Abele so in Worte fasst: „Es ist nicht erwünscht, dass Flüchtlinge sich in Deutschland integrieren.“
Dieser politische Grundsatz schlägt sich laut AK Asyl unmittelbar in den Bedingungen nieder, unter denen die Flüchtlinge in Kirchheim und anderswo leben. „Flüchtlinge bekommen vom Staat keine Deutschkurse bezahlt“, sagt Renate Hirsch. Deshalb unterrichten die Ehrenamtlichen, zu denen Lehrer, Sozialpädagogen und Krankenschwestern, aber auch Finanzbeamte, Ingenieure und ein Mechatroniker gehören, die Flüchtlinge selbst beziehungsweise der AK bezahlt Lehrer. Daher ist der AK auf Spenden angewiesen. Weitere Angebote sind Einzelbesuche, Hilfe bei Behördengängen, Begleitung zu Ärzten und Anwälten, ein wöchentliches Kaffeetrinken, eine Männergruppe, eine Mutter-Kind-Gruppe und Ausflüge. Einige Ehrenamtliche verbringen sogar ihr Weihnachtsfest mit den Flüchtlingen, feiern Geburtstag oder spielen mit ihnen Fußball.
In der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Kirchheimer Charlottenstraße, die vom Landkreis Esslingen getragen wird und in der aktuell über 200 Menschen auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten, ist überall sichtbar, dass der Aufenthalt der Flüchtlinge nicht von Dauer sein soll. Die Zimmer wirken mit ihrer spärlichen Ausstattung und den Stockbetten wie die Jugendherbergen von einst, die Menschen wohnen oft zu viert in einem Zimmer. „Dabei ist die Kirchheimer Unterkunft im Vergleich zu anderen Einrichtungen noch großzügig und stadtnah“, sagt Renate Hirsch. Und Monika Keibl-Zitt von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die vom Landkreis mit der psychosozialen Betreuung der Flüchtlinge betraut worden ist, ergänzt: „Die Menschen können hier noch eher am Leben teilnehmen als anderswo.“
Diese Teilnahme ist jedoch qua Gesetz beschränkt. Flüchtlinge im Asylverfahren, auch Hochqualifizierte, unterliegen einem einjährigen Arbeitsverbot. Danach dürfen sie sich einen Job suchen. „Allerdings bekommen sie den nur, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass er keinen Deutschen oder einen anderen EU-Bürger für den Arbeitsplatz gefunden hat“, erklärt Monika Keibl-Zitt. Oft sei diese Hürde für die Flüchtlinge unüberwindbar – und seit der Finanzkrise erst recht. Dabei würden die meisten gerne arbeiten.
Um in Deutschland überleben zu können, erhalten Flüchtlinge Sozialleistungen, die aber niedriger sind als die gängigen Sozialhilfesätze. „Ein Alleinstehender darf pro Woche in einem bestimmten Supermarkt Waren im Wert von 32 Euro einkaufen“, erklärt Monika Keibl-Zitt. Dazu komme ein monatliches Taschengeld von 40,90 Euro. „Davon müssen die Flüchtlinge ihre Anwaltskosten bezahlen“, sagt Marianne Gmelin, Kirchenbezirksbeauftragte beim AK Asyl. Hinzu kämen Kosten für öffentliche Verkehrsmittel, Übersetzungen, Verhütungsmittel, Friseurbesuche, Medikamente, Brillen, Zahnspangen und so weiter. Das zu bezahlen, besonders die Anwaltskosten, sei für Flüchtlinge ohne Verdienstmöglichkeit kaum leistbar. „Sie brauchen aber einen Anwalt, um überhaupt eine Chance zu haben“, weiß Monika Keibl-Zitt. In Einzelfällen unterstützt der Arbeitskreis Asyl die Flüchtlinge beim Bezahlen der Anwaltshonorare.
Es wird vermutet, dass 40 Prozent der Geflohenen traumatisiert sind. Viele stammen aus Kriegsregionen wie Irak oder Afghanistan. „Viele Flüchtlinge haben Krieg oder Gewalt erlebt, sind gefoltert und misshandelt worden“, sagt Eva Abele. Allerdings schließe die medizinische Versorgung der Flüchtlinge nur akute Erkrankungen ein – und Traumata würden eben nicht als akut anerkannt. Die Folge: Viele Flüchtlinge müssen das Erlebte jahrelang verdrängen, die psychische Belastung äußert sich in körperlichen Leiden. Nichtstaatliche Stellen leisten zumindest eine erste Begutachtung der Flüchtlinge – eine Therapie ist jedoch in den seltensten Fällen möglich. „Ein Psychiatrieaufenthalt bei Suizidgefahr hingegen wird bezahlt“, sagt Monika Keibl-Zitt. Auch andere Bereiche der medizinischen Versorgung sehen die Ehrenamtlichen kritisch. „Verhütungsmittel werden zum Beispiel nicht bezahlt“, sagt Eva Abele. „Abtreibungen aber schon.“