Nürtingen. Nicht mehr versuchter Mord, aber eine schwere Körperverletzung war der Messerstich eines 19-Jährigen am 4. Juli gegenüber einem 27-Jährigen an der Kreuzung Am Kührain/Steinengrabenstraße in Nürtingen. So lautete das Urteil des Stuttgarter Landgerichts.
Gegen den Täter wurde eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Auch gegen vier weitere Angeklagte gab es Urteile. Ein 16-Jähriger und ein 17-Jähriger wurden wegen Beihilfe zu zwei Jahren Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Zwei 15-Jährige bezeichnete das Gericht als Mitläufer mit einer eher geringeren Strafbeteiligung. Sie müssen einen zweiwöchigen Jugendarrest antreten, wie auch bei den anderen verbunden mit einem Anti- aggressionstraining und der Ableis- tung von Sozialstunden. Geurteilt wurde nach dem Jugendstrafrecht.
Während der vorangegangenen sechs Verhandlungstage war umfangreich versucht worden, die Vorgänge zu klären, an deren Ende der 27-Jährige schwer verletzt in einer Klinik notoperiert werden musste. Vorangegangen war die Begegnung des Täters mit dem Opfer im Zug zwischen Plochingen und Nürtingen. Der 19-Jährige hatte sich nach eigenen Angaben von dem T-Shirt des 27-Jährigen provoziert gefühlt, das die Aufschrift „Nürtinger Hurensöhne“ trug. Es war der selbstironisch gemeinte Liedtitel einer Punkband, deren Mitglied der 27-Jährige war. Der Täter informierte weitere Jugendliche darüber, gemeinsam folgte man dem 27-Jährigen von einem Kaufhaus an der Europastraße aus durch die Innenstadt bis zum Kührain. Dort versetzte der Täter dem Opfer ohne Vorwarnung von hinten den Stich in den Rückenbereich. Danach traten der 19-Jährige und der 17-Jährige auf das Opfer ein, das unter anderem einen Rippen- und einen Nasenbeinbruch erlitt.
Die Staatsanwältin hatte bereits ihren Vorwurf des versuchten Mordes abgeschwächt, was bleibe, sei jedoch eine gefährliche Körperverletzung. Sie forderte vier Jahre Haft für den 19-Jährigen und für den 17-Jährigen drei Jahre und drei Monate. Der 16-Jährige, der dem Täter das Messer ausgehändigt hatte, sollte zwei Jahre und neun Monate bekommen. Er sei am weiteren Tatverlauf nicht mehr wesentlich beteiligt gewesen.
Die Nebenklägerin, die das Oper vertrat, bezeichnete die beantragten Strafen „am untersten Level“, ihr Mandant leide unter den physischen, vor allem aber unter den psychischen Folgen.
Die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf betonte, sie habe es sich gemeinsam mit den beiden beisitzenden Richterinnen nicht leicht gemacht. Sie sprach von einem bedingten Tötungsvorsatz, hätte dem Angeklagten doch klar sein müssen, dass ein solcher Messerstich katastrophale Folgen haben kann. Das sei auch nicht spontan gewesen, er habe genügend Zeit gehabt, das Messer aus der Tasche zu holen und aufzuklappen.
Ausschlaggebend war schließlich, dass die beiden Täter nach dem Stich und den ersten Tritten und Schlägen von dem Opfer abgelassen hatten, so die Richterin. Das wurde auch von dem Geschädigten so bestätigt.
Der 16-Jährige, so die Richterin, habe das Messer bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausgehändigt. Von einem Tötungsversuch habe zu diesem Zeitpunkt nicht ausgegangen werden können, „aber ohne das Messer wäre das so nicht passiert“, betonte die Richterin.
Für das Strafmaß seien die weitgehenden Geständnisse zu berücksichtigen. Der 16-Jährige wies außerdem nach, ein berufliches Praktikum und mit großer Wahrscheinlichkeit anschließend eine Ausbildung antreten zu können. Der 17-Jährige befindet sich seit der Tat in einer Erziehungshilfeeinrichtung, wo er den Hauptschulabschluss nachholen möchte. Alle fünf weisen einen Migrationshintergrund auf, sprechen aber sehr gut Deutsch.
Der 19-Jährige hat jedoch nicht die deutsche, sondern die mazedonische Staatsbürgerschaft. Ihm könnte nach seiner Haft die Ausweisung drohen. Uwe Gottwald