Bissingen. Wer zu spät kommt, muss im Flur sitzen. Kurz vor 19 Uhr ist der große Sitzungssaal im Bissinger Rathaus proppenvoll. Der frischgebackene Bürgermeister Marcel Musolf begrüßt die Bissinger zur Informationsveranstaltung und kündigt an, dass der Gemeinderat am 3. Mai über die geplante Biogasanlage von Landwirt Karl-Heinz Reichert beraten wird. Der Abend solle den Räten dafür eine Basis geben. Was Marcel Musolf nicht sagt, ist, dass der Gemeinderat zwar das Einvernehmen verweigern kann, aber im Endeffekt nicht viel zu sagen hat. Denn die Entscheidung, ob Karl-Heinz Reichert seine 150-Kilowatt-Biogasanlage bauen darf oder nicht, fällt im Esslinger Landratsamt.
Der Landwirt ist mit Ehefrau Andrea und Sohn Matthias gekommen, um sich den Fragen der Bissinger zu stellen. Zunächst spricht Klaus Ascher. Der Diplomingenieur, der die Biogasanlage konzipiert hat, erklärt, wie die Anlage funktioniert und warum immer mehr Landwirte sich dazu entschließen, Biogas zu produzieren: „Viele Milchvieh-Landwirte müssen überlegen, wie sie anderweitig Geld verdienen können, anstatt Butterberge aufzutürmen, die immer weniger gefragt sind.“ Das kann Karl-Heinz Reichert, der seine Brötchen bisher vor allem mit der Milchproduktion verdient, bestätigen. „Mein Betrieb muss wachsen“, sagt er. „Wenn er das nicht kann, bin ich zum Aufgeben verdammt.“
Klaus Ascher spricht von den Vorzügen der Biogasanlagen, vom Verzicht auf fossile Brennstoffe und der guten Energiebilanz. Mit der Gülle von vier Kühen könne man genügend Strom erzeugen, um einen Vier-Personen-Haushalt zu versorgen. Er erklärt, welche Sicherungsmechanismen eingebaut sind, um zu verhindern, dass der Behälter bei Überdruck in die Luft fliegt oder dass Gülle in den Boden sickert und das Grundwasser verseucht. Das Blockheizkraftwerk, das aus dem Biogas Strom und Wärme generiert, sei aus Gründen des Lärmschutzes gekapselt. Lärm entstehe lediglich bei der Befüllung und Anlieferung des Substrats, vor allem von Mais, den der Landwirt teils selbst produziert, teils zukauft. Klaus Ascher versichert aber: „Die Lärmschutzwerte werden eingehalten.“
Auch beim Thema Geruch versucht Ascher, die Gemüter zu beruhigen. Durch das geschlossene System könne kein Gas entweichen, außer im Überdruckfall. Und die Gärreste, die anschließend als Dünger verwendet werden können, würden weniger stark riechen als Gülle. Später versichert Gutachter Jost Nielinger, der von Karl-Heinz Reichert bestellt worden ist, dass die Messwerte eingehalten werden. Nehme man den Geruch der Rinderhaltung, der angrenzenden Pferdehaltung und der Biogasanlage zusammen, würden zehn Prozent der Jahresstunden erreicht. Das ist die Größe, die der Gesetzgeber als Bemessungsgrundlage für Geruchsimmissionen heranzieht. „Der Wind kommt von Süden, das heißt, der Ort wird nur tangential gestreift“, so Nielinger.
Die Mehrheit der Bissinger Bürger lässt sich durch solche wissenschaftlichen Ausführungen nicht beruhigen. „Das ist doch nur Theorie. Die Leute, die daneben wohnen, empfinden das ganz anders“, sagt einer und kommt zu dem Schluss: „Wenn der Gesetzgeber wirklich dazu da wäre, die Menschen zu schützen, dürfte diese Biogasanlage in Bissingen nicht gebaut werden.“
Ein anderer fürchtet um seinen Besitz. Immobilienmakler schätzten, dass der Wert eines Hauses um 30 bis 70 Prozent sinke, wenn daneben eine Biogasanlage gebaut werde. „Ich bin vor zwei Monaten eingezogen, und jetzt das. Mit stinkt das mordsmäßig“, macht er seinem Ärger Luft und schiebt die Frage hinterher, ob es keinen anderen Standort gebe.
Andere Bürger geben zu bedenken, dass der Verkehr durch die Anlieferung des Substrats stark zunehmen werde. Das kann Klaus Ascher nicht von der Hand weisen. Ein Besucher glaubt, dass der Feldweg, der zum Hof führt, überlastet werden könnte. „Ich habe meine Zweifel, dass da noch Begegnungsverkehr möglich ist“, sagt er. Außerdem sei es unökologisch, Mais zu Biogas zu verarbeiten, beklagt eine andere Bürgerin.
„Wir nehmen diese Bedenken ernst“, sagt Gerd Schmid, Leiter des Amts für Bauen und Naturschutz im Landratsamt, das über den Antrag entscheidet. Er macht jedoch unmissverständlich klar, dass Dinge wie Wertminderungen zwar bedauerlich seien, in die Entscheidung aber nicht einfließen könnten. „Wir prüfen, ob es Konflikte mit Vogelschutz, Lärm, Geruch und so weiter gibt“, sagt Schmid. „Wenn die Verträglichkeit gutachterlich bestätigt wird, finden wir, dass man es vertreten kann.“