Die Kameradschaft ist heute noch mein Ein und Alles – besonders in der Altersfeuerwehr wird sie großgeschrieben“, sagt Wilhelm Franz. Seit über 70 Jahren ist er Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr in Jesingen, die in diesem Jahr 150 Jahre besteht – und das hat mit seiner damals bevorstehenden Hochzeit zu tun und reicht bis in seine Zeit in der Schweiz zurück, als er auf der Walz als Zimmermann war.
Wilhelm Franz ist Jesinger Urgestein, hat im elterlichen Betrieb „en dr Hendrgass“ – heute Hintere Straße – das Schreinerhandwerk gelernt. Um auf die Walz gehen zu können, hat er den Zimmermann draufgesattelt. So landete er 1949 über den Bodensee und Vorarlberg in Hedingen bei Affoltern am Albis in der Schweiz unweit des Zürichsees. „Seit über 80 Jahren lese ich den Teckboten, meine Mutter hat ihn mir damals nach Hedingen geschickt“, beginnt er das Gespräch, während er in seiner schmucken Uniform am Esstisch sitzt.
Dui Loidr bleibt z’Isianga. I war Steiger ond Johr ond Dag uf derer Loidr.
Wilhelm Franz
„In der Schweiz wollte ich schon zur Feuerwehr, aber da habe ich zu hören bekommen: En Dütscha wölla mir ned“, erinnert er sich. Ein Kompromiss wurde gefunden, und so ging er zum Roten Kreuz und wurde Transportsanitäter. Allzu viel Dienstzeit kam jedoch nicht zusammen, denn sein Chef schickte ihn als Geschäftsführer nach Soweto in Südafrika.
„Meine Rosmarie habe ich in der Schweiz kennengelernt“, erzählt er. Sie wohnte ganz in der Nähe, war aus Stockach und arbeitete ebenfalls in der Schweiz. Die beiden kamen sich näher und wurden ein Paar. Als die Sache trotz Südafrika ernster wurde, warnte er seine Rosmarie schon mal vor, dass er ein „Vereinler“ wäre. „Ich war praktisch in allen Vereinen in Jesingen Mitglied“, sagt er und nennt Hunde-, Turn- und Gesangverein. Die Braut zeigte sich großzügig – mit einer Bedingung: „Du kannst in alle Vereine gehen, nur nicht zur Feuerwehr.“ Als kleines Kind hatte sie einen Brand erlebt, wurde gerettet, aber die Angst vor dem Feuer hatte sich buchstäblich eingebrannt.
Nach der Heirat sollte der Lebensmittelpunkt des Paars in Jesingen sein, weshalb Wilhelm Franz 1953 im Ochsen die Hochzeit bestellte. „Da hatte die Feuerwehr gerade ihre Hauptversammlung. Als ich reingekommen bin, war ein Mords-Hallo. Kommsch odr gosch wiedr?“, sei er gefragt worden. Seine Antwort „Hauzich bschdella“ gefiel den Männern. Er müsse zur Feuerwehr, das sei für Handwerker im Ort üblich, sagten sie nicht ganz wahrheitsgemäß. Als die Versammlung zu Ende und das eine oder andere Bier getrunken war und im „Wilden Mann“, einer privaten Feierstätte in der Jesinger Heidenschaft, auf den neuen Kameraden angestoßen wurde, war die Mitgliedschaft amtlich.
Da Wilhelm Franz Sanitäter in der Schweiz war, wurde ihm diese Aufgabe übertragen. „Das gab es damals noch bei der Feuerwehr. Ich habe immer wieder Kurse belegt“, erinnert er sich. Auch daran, wie seine Töchter bei der Alarmierung regelmäßig „schnell gesprungen sind, um die Uniform zu holen und mir reinzuhelfen“, damit er rasch zum Einsatzort kam. „Die Uniformen hatten wir damals alle zu Hause, nicht im Magazin so wie heute“, sagt er.
Sein erster Einsatz war gleich in der Nachbarschaft. Es hatte beim „Harras, au Schuahmichl ghoißa“ gebrannt. Viele Kinder hatten vor dem eigenwilligen Mann Angst, dem nach eigener Aussage „dr Wald von Schtuergert bis Augschburg“ gehörte. Als die Feuerwehr mit dem Schlauchwagen am Brandort ankam, war Wilhelm Franz, mit dem Strahlrohr in der Hand, der Erste, der das Haus betrat, nachdem die Haustür mit der Axt eingeschlagen war. „Alles war voller Rauch, es gab keine Flammen. Der Ofen war von der Wand weg, aber um den rum hat es geglüht und ich habe gelöscht, ohne Atemmaske. Ich hätte rausmüssen – und bin durch den Boden durchgebrochen, denn die Glut um den Ofen hat den Boden mürbe gemacht. Ich habe das Strahlrohr aber nicht losgelassen, das hat sich verfangen und ich bin in der Luft gehangen und nicht im Keller gelandet, aber dr Scheißhafa ist über mich drüber“, nennt er Ross und Reiter. Heute noch zeugt eine Narbe am Kopf von diesem Einsatz. Seine Rosmarie hat sich geweigert, die Uniform zu waschen, und so ist Wilhelm Franz zum ersten Mal in eine Reinigung gekommen – „on em Teckbote au“, fügt er verschmitzt hinzu. Für den Harras kam jedoch jede Hilfe zu spät, er lag aufgrund einer Rauchgasvergiftung tot im Bett.
Mit der Eingemeindung nach Kirchheim ist der einstige Jesinger Gemeinderat bis heute noch auf Kriegsfuß. Als dann auch noch die fahrbare Holz-Schiebeleiter, Baujahr 1929, vom Hersteller Lieb aus Biberach verscherbelt werden sollte, war für Wilhelm Franz das Maß voll. „Des kommt et en Frog. Dui Loidr bleibt z’Isianga. I war Steiger ond Johr ond Dag uf derer Loidr“, sagt er heute noch bestimmt. Kurzerhand kaufte er sie und mietete dafür sogar „a Schuir“ in Jesingen an. Viele Jahre hat sie ihm gute Dienste geleistet, damit er seine Dachrinnen putzen konnte. Mittlerweile steht die historische Leiter im Feuerwehrmuseum in Kirchheim.
Stillstand kommt für den rüstigen Senior bis heute nicht infrage. Schließlich hat er als „Kurzschwanzbauer“ – wie er augenzwinkernd von einem einstigen Mieter genannt wurde – für zig Hasen zu sorgen und zu heuen. Neben der Feuerwehr ist auch die Singstunde fester Bestandteil. Und eine weitere Fähigkeit ist bis heute im Ort gefragt. Wilhelm Franz hat die Uniform wegen des Fototermins noch an, als es an der Haustür klingelt. Als Schreiner hat er vor Jahrzehnten einen Kurs zum offiziellen „Einbrecher“ belegt. Die Polizei forderte regelmäßig seine Dienste an, wenn es darum ging, zugesperrte Wohnungen unter Aufsicht zu öffnen. Das kann Wilhelm Franz heute noch und sorgte diese Woche für eine offene Wohnung, in der sich ein kleiner Bub unfreiwillig eingesperrt hatte – sehr zur Erleichterung der ausgesperrten Eltern und dem weinenden Kind.
Info
Die Freiwillige Feuerwehr Abteilung Jesingen besteht seit 150 Jahren. Vom 4. bis 6. Juli findet das Festwochenende statt.