Die ehemalige Kirchheimer Musikschülerin Rebecca Göhrt will ihr Instrument nicht missen
Mit der Posaune durch Berlin

Kirchheim/Berlin. Ob Rebecca Göhrt die Musik als Haupt- oder Nebenbetätigung sieht, ist nicht leicht auszumachen: Vier Tage in der Woche arbeitet sie bei der Lufthansa


Global Telesales in der IT-Abteilung, aber mindestens viermal greift sie auch abends zu ihrer Posaune, um die regelmäßigen Proben ihrer Ensembles nicht zu verpassen. Vor Konzerten kommen auch schon mal Orchesterwochenenden oder längere Probenphasen hinzu. Keine Frage: Bei so viel Engagement muss das Musizieren reine Herzenssache sein.

An der Musikschule Kirchheim begann die damals 12-Jährige nach kürzerem Blockflötenspiel mit dem Posaunenunterricht bei Johannes Stortz. An einem Tag der offenen Tür hatte sie sich für das Blechblasinstrument erwärmt und ließ sich auch von der Mama nicht mehr umstimmen. Und da lag die Schülerin völlig richtig. Immerhin acht Jahre blieb sie dabei, spielte unter anderem bei dem Bläserensemble Teckbrass mit und erzählt heute noch begeistert von der Reise der Big Band der Musikschule nach Kalocsa, der ungarischen Partnerstadt Kirchheims. Die Verbindung zwischen Reise und Musik zieht sich durch Rebecca Göhrts Lebenslauf wie ein roter Faden. Hatte sie mit der Stadtkapelle damals bereits Finnland bereist und mit der Arcademia Sinfonica Polen und Frankreich, so hatte sie zumindest „Blut geleckt“.

Die talentierte Posaunistin belegte am LUG den Musik-Leistungskurs – „die beste Entscheidung meiner schulischen Laufbahn“, kommentiert sie heute lächelnd, und nahm nach dem Abitur das Studium der Musikwissenschaften und Romanistik in Heidelberg auf. Warum nicht Musik mit Hauptfach Posaune? Sie sei froh, dass sie sich dagegen entschieden habe, antwortet die 35-jährige Wahlberlinerin, sie wollte sich einfach den Spaß an der Musik nicht verderben lassen. Hat sie auch nicht. Vielleicht hätte sie sonst nicht die zwei Trompeter kennengelernt, mit denen sie sich ins Auto setzte und in die Toscana fuhr. Da machten sie zu dritt Straßenmusik und verdienten sich immerhin die Reisespesen.

Nach der Zwischenprüfung hatte die angehende Philologin von den Geisteswissenschaften genug. Sie nahm sich ein Jahr Auszeit, ging als Au-pair-Mädchen nach Mailand und lernte weiter fleißig Italienisch. „Es war unglaublich, dass ich in einer Stadt mit einer Million Einwohner nur eine einzige Musikschule fand, Laienorchester gab es kaum“, erzählt Rebecca Göhrt kopfschüttelnd. Sie fand schier keine Ensemble zum Mitspielen, „wie ein Fisch auf dem Trockenen kam ich mir vor“. Kaum zu glauben, denn in Deutschland hatte die junge Studentin bereits im Landesjugend-Jazzorchester und im Uni-Orchester in Heidelberg posaunt.

Folglich kehrte sie dem Süden den Rücken und ging zurück ins Schwäbische. Sie begann an der Hochschule der Medien Informationswissenschaften zu studieren. Hier wurde sie im Uni-Orchester der Landeshauptstadt und in der DaimlerChrysler Big Band gerne aufgenommen und fand auch mit ihrem Instrument wieder den rechten Platz. „Ohne meine Posaune wäre mein Leben sehr viel langweiliger“, erklärt Rebecca Göhrt.

Ein Praktikum im Kulturamt in Neukölln, wo sie auch heute noch wohnt, führte sie 2004 nach ihrem Diplom schließlich nach Berlin, wo sie seit 2005 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt ist. Die Vier-Tage-Arbeitswoche lässt ihr genügend Zeit für die Musik. In sage und schreibe fünf Ensembles spielt die 35-jährige zurzeit, darunter im renommierten Jungen Ensemble Berlin. An der Zent­ralkapelle Berlin, die dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern, hängt ihr Herz ganz besonders. Seit vier Jahren ist sie auch im Vorstand des Bläserorchesters aktiv, seit eineinhalb Jahren als Vorsitzende. Neben ihren Lieblingskomponisten Schostakowitsch und Strawinsky kommen dort auch experimentelle Stücke zur Aufführung, wie zuletzt das Werk eines amerikanischen Komponisten „für drei Staubsauger und eine Bodenpoliermaschine“ – wofür die Solisten tatsächlich mit genannten Putzwerkzeugen und Teppichstücken agierten.

Derweil genießt Rebecca Göhrt, die kein Auto hat, auf zwei Rädern die Großstadt. Die unzähligen kulturellen Angebote der Metropole begeistern sie noch immer. Und meistens hat es irgendetwas mit Musik zu tun, wenn sich die sympathische junge Frau aufs Zweirad schwingt – die meisten ihrer Freunde hat sie über die Musik kennengelernt, sieht sie rückblickend. Und mit den Freunden wiederum viele Länder: In den vergangenen Jahren hat sie unter anderem Mexico, Kambodscha, Neuseeland, Dubai, New York und Argentinien bereist – ist sogar schon in drei Wochen einmal um die Erde gedüst. „Bestimmt drei Tage meines Lebens habe ich durch die Zeitverschiebung verloren“, lacht sie, doch das hält sie von weiteren Reisen nicht ab.