Kirchheim. Mit einem Programm, das selbst notorische Konzertmuffel hinterm Ofen hervorlocken konnte, wartete das Volkshochschulorchester am Sonntag in der vollbesetzten Stadthalle Kirchheim auf. Louis
Spohr, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert: Sabine Bruns, die Dirigentin, kann sich trauen, ihr Orchester an Musik von Weltrang heranzuführen, weil sie musikalisch derart überlegen ist, dass sich auch hochqualifizierte Berufsmusiker als Solisten ihrer souveränen Führung gerne anvertrauen.
So zauberte sie mit dem jungen Tübinger Streichquartett ein Ensemble aus dem Hut, das vom ersten Ton an die Bühne der Stadthalle in einen musikalischen Hexenkessel verwandelte, in dessen Strudel es für das Laienorchester um Sein oder Nichtsein gehen musste.
Aber, o Wunder, je schneidiger die Tübinger jungen Wilden zur Sache gingen, desto weniger ließ sich Sabine Bruns mit ihrer Truppe den Schneid abkaufen. Am Schluss gab es nur strahlende Sieger und ein verdutztes Publikum, das erst den Sirenentönen von Sabine Bruns nicht recht trauen wollte, als sie in ihrer charmanten Einführung (im Programm war eine solche diesmal leider vorhanden) den Komponisten Spohr „schmackhaft“ zu machen wusste mit dem Zitat eines Zeitgenossen, er sei der größte lebende Komponist Deutschlands. Als sich alle zurücklehnen wollten zum „Einspielstück“ dieses großen Meisters, den „wir Banausen“ bisher ja ganz anders eingeschätzt hatten, brach urplötzlich ein musikalischer Wirbelsturm los, der prompt unzeitigen Beifall gleich nach dem ersten Satz nach sich zog.
Das Adagio des zweiten Satzes vermochte die Gemüter etwas zu beruhigen. Immerhin waren jetzt Melodien zu genießen, die abwechselnd von allen Streichquartettlern zelebriert wurden. Von dem unglaublich souveränen Martin Jantzen, Violoncello, der es auch gut ertragen konnte, wie neben ihm Moriz Schneider auf der Viola die Musik immer wieder zu einem Bratschenkonzert umfunktionierte. Herrlich erfrischend! Dass sich die zweite Violine mit Friederike Haselberger neben diesen Koryphäen und der forschen, überdominanten ersten Violine überhaupt bemerkbar machen konnte, verdankt sie zunächst der überlegenen Satzkunst Louis Spohrs, aber auch ihrer eigenen unglaublichen Intonationssicherheit, Anpassungskunst und rhythmischer Unbestechlichkeit. Durch diese herausragende Violinistin gewann das noch so junge Streichquartett professionelles Format. Nina Meinhof, die Primgeigerin, muss aufpassen, dass sie nicht immer dominiert, sonst laufen ihre überenergischen Interaktionen ins Leere – jedenfalls bei einer so hochkomplexen Struktur wie in diesem Konzert für Streichquartett und Orchester.
Dem Volkshochschulorchester kam das jugendliche Feuer des Quartetts indessen sehr zupass. Begeistert nahm es die musikalischen Bälle auf. Dieser Beginn war also alles andere als ein bequemes Einspielstück, sondern ein richtiger Knaller, mit dem sich Sabine Bruns und ihr Orchester schwungvoll in eine höhere Liga katapultiert haben.
Nach dem „Deutschlandmeister“ Spohr nun der „Weltmeister“ Beethoven mit seinem Tripelkonzert für Violine, Violoncello, Klavier, und Orchester. Keine jungen Wilden mehr an den Soloinstrumenten, sondern etablierte, erfahrene Profis. Tanja Morozova, Klavier, Julia Galic, Violine, und Gregor Pfisterer, Violoncello. Große Erwartungen mit ziemlicher Ernüchterung. Zwar ist bekannt, dass Beethoven inspiriertere Musik geschrieben hat als dieses Konzert. Aber dass die Soli so schnell in Belanglosigkeit abkippen würden, war dann doch nicht zu erwarten gewesen.
Dabei hat es beileibe nicht an virtuosem Aplomb gefehlt, im Gegenteil! Die Geigerin exekutierte jeden Einsatz rasant und mit pathetischer Siegerpose. Die Pianistin tat es ihr nach, legte sich emotional voll ins Zeug, aber vermochte dem Steinway nur schwache Fünklein musikalischen Lebens einzuhauchen, trotz perlender Passagen und energischer Aufschwünge, die halt fast immer dem Orchester vorauseilten. Nur der Cellist nahm die Sache spielerisch und widerstand erfolgreich dem musikalischen Überdruck seiner Kammermusik-Partnerinnen. Wenn das Tripelkonzert trotz aller Einschränkungen doch noch zu einem großen Erlebnis wurde, ist es hauptsächlich sein Verdienst.
Dabei konnte er sich nur auf sein Gehör verlassen, denn zwischen ihm und Sabine Bruns stand der riesige Flügel. Aber als ausgefuchste Berufscellistin verstand die Dirigentin sich mit ihrem Kollegen blind. Der musikalische Zusammenhang zwischen Soli und Orchester war immer garantiert, eine Kommunikationsleistung ersten Ranges!
Als Zugabe servierten die Solisten noch ein Trio von Piazzola, das stilistisch in dieser Umgebung zwar etwas fremdelte, aber doch beweisen konnte, welches Potential in dieser Kammermusikformation wirklich steckt.
Nach der Pause mit dem Traumstück der„Unvollendeten“ von Franz Schubert stand einmal mehr das Instrument Violoncello im Mittelpunkt des Geschehens. Dank der inspirierten Bass-Gruppe spielt das Volkshochschulorchester jederzeit auf sicherem Fundament. Zwar führt gleich der Beginn dieser Sinfonie an Abgründen vorbei, doch dank der überwältigenden Gestaltungskraft der Dirigentin waren solche Gefährdungen existenzielle Bestandteile der Musik selbst geworden.
Jedenfalls hatte man an keiner Stelle den Eindruck von Mühe und Vergeblichkeit jenseits der Musik. In allen Klanggruppen gab es musikalisch erfüllte Momente, und die Bläsersolisten wuchsen geradezu über sich selbst hinaus. Nach dem letzten Ton war tiefe Ergriffenheit in der Stadthalle zu erleben. So muss es sein!