ADAC-Fahrsicherheitstraining auf dem Verkehrsübungsplatz Birkhau bei Lindorf
„Mit voller Kraft in die Eisen steigen“

Kirchheim. „Der Nächste bitte“, tönt es aus den kleinen Funksprechgeräten, die jeder der elf Autofahrer im Innenraum seines Fahrzeugs platziert hat. Die einzelnen Autos, die
 hintereinander stehen und auf ihren Einsatz warten, schieben sich ein paar Meter vorwärts. Für den Autofahrer an der Spitze heißt es jetzt: Gas geben, beschleunigen auf 50 Stundenkilometer (km/h) und auf der Höhe von zwei aufgestellten Verkehrshütchen eine Vollbremsung hinlegen, die sich gewaschen hat. Hört sich eigentlich nicht schwierig an – doch volle Pulle Bremsen auf Ansage will geübt sein. „Ich war mir immer sicher, dass eine Vollbremsung für mich kein Problem ist, aber ich bin eines Besseren belehrt worden“, sagt Friedrich Schlesinger aus Schlierbach erstaunt. „Man muss wirklich voll in die Eisen steigen“, fügt der 70-Jährige hinzu. Zusammen mit fünf Männern und fünf Frauen nimmt er an einem ADAC-Fahrsicherheitstraining teil, das auf dem Verkehrs­übungsplatz Birkhau bei Lindorf über die Bühne geht.

„Viele haben am Anfang noch eine gewisse Hemmschwelle“, weiß Reimund Elbe, Pressesprecher des ADAC Württemberg. Und tatsächlich geht es den meisten anderen Kursteilnehmern bei der ersten Übung nicht viel anders als Friedrich Schlesinger. „Sie streicheln das Bremspedal ja nur. Ich bin entsetzt darüber, wie wenig Sie bremsen“, sagt Kursleiter Michael Damm zu seinen „Schützlingen“, mit denen er stets über die Funkgeräte in Kontakt ist. „Sie müssen mit voller Kraft aufs Pedal treten und auch die innere Entschlossenheit dazu haben.“ Denn komme man tatsächlich einmal in eine Notsituation im Straßenverkehr, dann müsse man darauf vorbereitet sein und wissen, wie man reagiert – „da geht es um Zehntelsekunden“, verdeutlicht Michael Damm. Das Problem sei allerdings, weiß der Experte, dass „jeder von uns eine solche Situation verdrängt. Deshalb trainieren wir heute, wie wir Notsituationen bewältigen können.“

Wichtig ist zunächst, die richtige Sitzposition einzustellen, sagt der Kursleiter: Das Knie sollte bei durchgetretener Kupplung leicht angewinkelt und auch die Arme sollten beim Halten des Lenkrads gebeugt sein. Michael Damm rät außerdem dazu, die Höhe der Kopfstütze so einzurichten, dass sie eine Ebene mit dem Kopf bildet. „Im ersten Moment ist diese Sitzposition vielleicht ein bisschen ungewohnt, aber man erkennt schnell die Vorteile.“ Denn bei angewinkeltem Knie habe man die Garantie, dass man mit voller Kraft auf dem Pedal steht. Außerdem könne man viel schneller reagieren, je näher sich die Arme am Lenkrad befinden.

Dann geht‘s wieder auf die Fahrbahn: Erneut versuchen die Teilnehmer, mit voller Wucht auf die Bremse zu treten – Michael Damm bezeichnet das als „Bremsschlag“, bei dem man am besten gleichzeitig auf Kupplung und Bremse steigt. Zack! Die Kraft des Bremsschlags ist enorm. Und siehe da: Die Teilnehmer verlieren ihre anfängliche Scheu. Reifen quietschen, Karosserien ruckeln, und die Bremspedale beginnen unter den Füßen zu pulsieren, weil die Antiblockiersysteme (ABS) einsetzen. Am Ende dieser Übung gibt Michael Damm den Teilnehmern noch einige theoretische Infos mit auf den Weg: Bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h beträgt der Bremsweg zwischen 4,5 und 5 Metern. Bei 50 km/h kommt das Fahrzeug nach einer doppelt so langen Strecke zum Stehen, und bei 70 km/h sind es gar zwischen 18 und 20 Meter. Die Reaktionszeit allerdings ist dabei noch gar nicht mit eingerechnet: Für eine Schrecksekun­de gehen bei 30 km/h nochmals 9 Meter drauf, bei 50 km/h sind es 15 und bei 70 km/h 19 Meter.

Jetzt sind die Teilnehmer bereit für eine Schwierigkeitssteigerung: Sie üben dasselbe in Grün – nur eben auf spiegelglatter Fahrbahn. Das erweist sich als umso kniffliger, weil die teilnehmenden Autofahrer mit Sommerreifen über eine mit Wasser bespritzte Fläche aus Stahlplatten gleiten sollen. „Durch das Wasser fühlt sich der Untergrund wie eine geschlossene, matschige Schneefläche an“, warnt der Kursleiter. „Je rutschiger es ist, desto länger ist der Bremsweg.“ Wie sich dieser theoretische Satz im Auto sitzend anfühlt – nämlich recht ungemütlich – erfahren die Teilnehmer Sekunden später: Mit 30 Sachen brettern sie nacheinander über die „winterliche“ Fahrbahn und präsentieren ihre zuvor eingeübten Bremsschläge. Die Füße der Autofahrer kleben zwar auf den Bremspedalen. Doch ihre Fahrzeuge schlingern und rutschen, etliche Autos brechen aus, und auf der Fläche aufgebaute Verkehrshütchen fallen um wie Dominosteine. „Mein lieber Schwan“, meint der 42-jährige Stefan Bitzer aus Reutlingen, der ebenfalls am Training teilnimmt, respektvoll.

„Auf dieser Gleitfläche kann man sich von der Fähigkeit seines Autos überzeugen“, betont Michael Damm. Denn wenn ein Fahrzeug über ABS verfüge, dann könne man gleichzeitig lenken und bremsen. Und genau das ist Inhalt der nächsten Übung: Die Teilnehmer sollen bremsen und parallel dazu ihr Auto um vier Verkehrshütchen herum manövrieren. Kein einfaches Unterfangen, doch nach etlichen Runden werden die Fahrer immer sicherer – und das mit Sommerreifen im „Winter“. Apropos: Durch gute Winterreifen reduziert sich der Bremsweg bei derselben Geschwindigkeit um 50 Prozent, betont der Kursleiter. Im Sommer seien sie allerdings ungeeignet: „Dann erhöht sich der Bremsweg, der Kraftstoffverbrauch steigt und in Kurven fährt man nicht stabil.“

Kurven – das ist das Stichwort für den zweiten Teil des Fahrsicherheitstrainings nach der Mittagspause: In einem Slalomparcours üben die Teilnehmer das Kurvenfahren und lernen unterschiedliche Lenktechniken kennen. Außerdem versuchen sie sich in Vollbremsungen und Ausweichmanövern in Kurvenbereichen.

„Ein Ziel des Fahrsicherheitstrainings ist, dass die Teilnehmer feststellen: Mein Auto hat physikalische Grenzen“, sagt Reimund Elbe. „Viele denken, dass sie ihr Fahrzeug in jeder Situation beherrschen. Das ist aber ein weit verbreiteter Irrglaube.“ Auch Stefan Bitzer ging bisher davon aus, dass er „eigentlich schon alles weiß“. Doch er konnte, genauso wie die anderen Teilnehmer, noch einiges dazulernen. Und ganz abgesehen davon, mache es großen Spaß, „in einem geschützten Rahmen einfach mal so in die Eisen zu steigen – das hat schon was.“