Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, und mit zunehmendem Alter wird das Wohnen in den heimischen Wänden für viele zur Last. „Aber nicht alle wollen ins Heim“, sagt Gunnar Laufer-Stark, Geschäftsführer der Nestbau AG mit Sitz in Tübingen. Eine Lösung bietet sein Unternehmen seit Ende Oktober 2021 im Kirchheimer Steingau-Areal an. Sie haben dort ein Haus mit drei Etagen und unterschiedlichen Nutzungen konzipiert, und ganz oben ist eine ambulant betreute Senioren-WG mit zwölf Bewohnerinnen und Bewohnern eingezogen.
Laut Laufer-Stark sind dort alle Pflegegrade vertreten, entsprechend ist die Betreuung aufgeteilt, von der Alltagsbegleitung bis zur Pflege – das übernehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Malteser. Das Fazit des Geschäftsführers nach anderthalb Jahren: „Wir sind voll belegt, das Konzept wird sehr gut angenommen, daher sind wir sehr zufrieden.“
Doch im „Neschtle“ sollen sich nicht nur Senioren wohlfühlen. Der Clou des Gebäudes in der Rosa-Heinzelmann-Straße liegt in der flexiblen und variablen Nutzung. Eine Etage unter den Senioren befinden sich Familienwohnungen – sowohl Sozialwohnungen als auch Wohnungen ohne Förderung. Ein weiteres Stockwerk tiefer beginnen die „Co’s“: die Co-Living- und Co-Working-Bereiche. Co-Existieren kann man hier beim Wohnen in einem von zehn Appartements mit Dusche und einem gemeinsamen Wohn-Koch-Bereich. „Das ist eine preisgünstigere Alternative zum normalen Hotel“, erklärt Gunnar Laufer-Stark, man lerne andere Leute in einer gleichen Lebenssituation kennen. Die Vermarktung und Verwaltung hat er an das Kirchheimer Unternehmen GB Soft übertragen, das auch im Gebäude ansässig ist und dort Hotel und Räume unter Con4Rent vermietet.
Insgesamt acht Büros hat er im Angebot und derzeit alle vermietet. Das moderne Ambiente kommt gut an: „Hier herrscht eine sehr gute Atmosphäre, und es ist wirklich angenehm, hier zu arbeiten“, sagt der Kirchheimer
Unternehmensgründer und Berater Dr. Fabian Diefenbach, der ein Büro im Haus nutzt. Auch der Veranstaltungsraum mit bis zu 80 Personen sei für Firmenmeetings sehr beliebt, eher zögerlich werde dagegen das offene Büro mit einzelnen Schreibtischen angenommen, sagt Gernot Bracher. Für 25 Euro am Tag kann man sich hier an einen Schreibtisch mit Internetverbindung setzen und arbeiten, Zugang zu Küche und Kaffeemaschine inklusive. Aber vor allem Kirchheimer stünden dem „Open Space“ skeptisch gegenüber. Datenschutz sei eines der Probleme, welche die Leute davon abhielten. Und auch die Unternehmen seien nicht bereit, ihren Mitarbeitern einen Platz zu finanzieren, wenn sie auch von zu Hause arbeiten können.
Frage der Mentalität
Genau das scheint aber vielmehr eine Frage der Mentalität zu sein. „Ich habe hier Schweizer oder Holländer, die sich selbstverständlich im Co-Working-Space hinsetzen und eine Präsentation fertigmachen“, sagt Gernot Bracher. In der Schweiz, so der Unternehmer weiter, kenne man dagegen das Konzept „Homeoffice“ nicht. „Ein Schweizer hat mir erzählt, dass es ihm nicht im Traum einfallen würde, zu Hause zu arbeiten.“
Gernot Bracher ist aber optimistisch, dass sich das Konzept auch in Kirchheim durchsetzen wird: „Das muss hier in den Köpfen noch verankert werden, man muss einfach etwas Geduld haben.“ Sein Fazit fällt nach anderthalb Jahren daher gut aus: „Das Positive überwiegt.“ Auch für den Nestbau-Geschäftsführer ist das Konzept im Steingau-Areal aufgegangen, vor allem, weil man auf Entwicklungen reagieren kann. „Wenn die Hülle gut und flexibel ist, haut es hin“, sagt er. So gebe es im Gebäude statt ITler ein Büro für die Koordination der Flüchtlingsverteilung.
Wichtige Themen bleiben für den Geschäftsführer der Nestbau auch in Zukunft altersgerechtes Wohnen und die Schaffung von Wohnraum. Die Probleme Einsamkeit und fehlendes Geld im Alter würden in der Gesellschaft zunehmen. Zumindest einsam wird es den Senioren im Steingau-Quartier nicht: Wenn sie mal keine Lust auf ihre WG haben, können sie von oben immer noch einen Blick auf das bunte Treiben im Viertel werfen.