An neun Verhandlungstagen hat die Große Jugendkammer des Landgerichts Ulm versucht, die Hintergründe des Mordanschlags von Schlierbach zu beleuchten. Morgen verkündet der Vorsitzende Richter das Urteil.
Schlierbach/Ulm. Der Fall hat für Aufsehen und Entsetzen gesorgt. Drei Männer lauern einem ahnungslosen Spaziergänger auf, am helllichten Tag an einem Feldweg bei Schlierbach. Es fallen Schüsse, das Opfer geht zu Boden, kann in ein Maisfeld robben. Der Schütze folgt ihm und schießt noch mehrmals auf den wehrlos am Boden liegenden Mann. Als sie glauben, dass er tot ist, machen sich die Täter aus dem Staub. Geschehen im August vergangenen Jahres. Die Bluttat von Schlierbach hat das Potenzial für einen Krimi. Ein außergewöhnlicher Fall, räumt auch Staatsanwalt Tobias Mästle ein. Denn nach Überzeugung des Anklagevertreters wurde der Anschlag in Auftrag gegeben – nicht einmal 2000 Euro soll der Lohn betragen haben.
Was hat die vier Männer auf der Anklagebank zu der Attacke getrieben? An neun Verhandlungstagen versuchte die Große Jugendkammer am Landgericht Ulm, Hintergründe und Motiv des heimtückischen Anschlags zu beleuchten. Mehr als 40 Zeugen wurden aufgeboten, mehrere Gutachter gehört. Eifersucht ist nach Auffassung des Staatsanwalts das Motiv des 26 Jahre alten Betreibers eines Pferdehofs aus Kirchheim. Er sei Initiator und treibende Kraft des Angriffs, der einen 45 Jahre alten Kirchheimer fast das Leben gekostet hätte. Der Landwirt wird beschuldigt, den damals 19 Jahre alten Schützen und seinen damals 23 Jahre alten Freund, der mit im Tatfahrzeug saß, angeheuert zu haben, um das Opfer aus dem Weg zu räumen. Die Waffe soll der ebenfalls angeklagte, 48 Jahre alte Bekannte des 26-Jährigen besorgt haben.
Anstifter eines eiskalten Mordanschlags oder Opfer eines Komplotts? 15 Jahre Haft – wie der Staatsanwalt fordert – oder Freispruch? Für den 26-Jährigen geht es um alles oder nichts, wenn der Vorsitzende Richter Gerd Gugenhan morgen das Urteil spricht. Stets korrekt gekleidet, schütteres Haar, biedere Ausstrahlung, bleibt der 26-Jährige bis zuletzt dabei, mit dem Geschehen in Schlierbach nichts zu tun zu haben.
Der Werdegang des gelernten Metzgers spricht für einen durchaus tüchtigen Mann, der den elterlichen Hof zum Pferdehof umstrukturiert hat. Er lebe bescheiden, die Einnahmen flössen in den Betrieb, erklärte er vor Gericht. Er wolle das Bild einer „normalen Persönlichkeit“ vermitteln und den Eindruck erwecken, dass er keinesfalls eifersüchtig oder aggressiv sei, berichtet ein Psychiater, den das Gericht als Gutachter bestellt hat.
Die frühere Freundin des 26-Jährigen – sie hat sich nach der Trennung von dem Landwirt wieder ihrem früheren Partner, dem Opfer des Anschlags, zugewandt – und deren Mutter sagen anderes aus. Von Eifersucht getrieben, habe er der jungen Frau nachgestellt, sie bedrängt und sei auch handgreiflich geworden. „Ich hatte Angst vor ihm“, sagte die Mutter der 27-Jährigen vor Gericht, nach einem Vorfall, bei dem er ihre Tochter aufs übelste beschimpft und bedroht habe und dabei sogar verbale Morddrohungen ausgestoßen habe. Die Ex-Partnerin schildert den Landwirt als „notorischen Lügner“, der „Wahrheit und Lüge nicht trennen kann“. Die Vorstrafen, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung und Freiheitsberaubung, passen für den Staatsanwalt ins Bild. Nach Auffassung des Anklagevertreters ist die Beweislage erdrückend.
Neben Spuren im Tatfahrzeug und der Auswertung von Handy-Kurznachrichten stützt sich die Anklage vor allem auf die Aussagen des Schützen und seines Freundes. Beide haben die Tatbeteiligung gestanden und den 26-Jährigen als Macher bezeichnet. Der würdigt sie im Gericht keines Blickes.
Sein Verteidiger verweist die Aussagen ins Reich der Fantasie und streut heftige Zweifel an der Schuld seines Mandanten. Er könne nicht in dem Tatfahrzeug gesessen haben, sagt der Rechtsanwalt und stützt seine Verteidigung auf drei Zeuginnen, die den Landwirt kurz nach 12 Uhr am Tag der Tat auf seinem Hof gesehen haben wollen. Zu diesem Zeitpunkt soll er jedoch nach Angaben der Mittäter noch in Heiningen gewesen sein. Eine Person mit langen, blonden Haaren soll am Steuer gesessen haben, hatte ein Zeuge bei der Polizei zu Protokoll gegeben – eine Beschreibung, die nicht auf seinen Mandanten passe, vielmehr jedoch auf die Schwester des Schützen. Sie habe am Nachmittag der Tat plötzlich dunkel gefärbte Haare gehabt.
Die Rolle, die die Heiningerin bei dem Mordanschlag spielt, wird das Gericht in einem getrennten Prozess behandeln. Sie soll den Kontakt zu dem Auftraggeber hergestellt und das Tatfahrzeug zur Verfügung gestellt haben. Lügen ihr Bruder und sein Freund, um die junge Frau, die eine kleine Tochter hat, zu schützen? Der Staatsanwalt bezweifelt, dass die beiden so abgebrüht sind, um ein solches Lügenkonstrukt über einen so langen Zeitraum aufrecht zu erhalten.
Detailliert hat der heute 20 Jahre alte Schütze den Tatablauf beschrieben und mit der Polizei rekonstruiert. Der junge Mann gibt sich selbstbewusst, wirkt fast ein wenig überheblich, wenn er an den Verhandlungstagen den Gerichtssaal betritt. Ohne Vater und mit einem negativen Männerbild aufgewachsen, sei er bereits als Kind verhaltensauffällig gewesen, mit ständigen Schwierigkeiten in der Schule, so beschreibt ihn die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Ein beachtliches Register an Jugendstrafen – darunter Drogen- und Gewaltdelikte – weist der 20-Jährige auf, dem auch das psychiatrische Gutachten mangelndes Selbstwertgefühl und Haltlosigkeit bescheinigt. Dies kompensiere er, indem er in eine kriminelle Rolle schlüpfe.
„Wir sind doch keine Mörder“, sagt der Heininger, als er vom Richter zu der Tat befragt wird. Und doch fuhr er an jenem 21. August mit nach Schlierbach – und schoss mehrmals. Dies zu einem Zeitpunkt, als ihn die Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe auf einem guten Weg sahen, denn der junge Mann hatte eine Ausbildung begonnen. Er selbst findet keine Erklärung für sein Handeln. Er sei zunächst nur davon ausgegangen, dass es um eine Abreibung für das Opfer gehe. Erst auf den Druck des Auftraggebers – er hatte bereits einen Vorschuss bezahlt – habe er schließlich mitgemacht. „Wie ein Werkzeug“, sagt sein Verteidiger, nach Überzeugung des Staatsanwalts jedoch ohne Skrupel und ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen.