„Sonne-Abriss-Band“ feiert 20-Jähriges in der Bastion – Erinnerungen an die bekannte Szene-Kneipe
Morgen lebt die „Legende“ auf

Kirchheim. Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren begann im historischen Kern der Teckstadt die „Sonnen-Finsternis“. Im Juli 1992 rückten Bagger an und zerstörten das Zentralgestirn der Kirchheimer 


Kultur- und „Revoluzzer“-Szene: Die „Sonne“ in der „Heidenschaft“, an der Ecke Rossmarkt/Alleenring. Morgen ab 20 Uhr lassen die Bastioniken unter dem Motto „Die Legende lebt“ die von der Sonne verwöhnte Zeit wieder aufleben. Natürlich sind all jene mit von der Partie, die damals musikalisch den „Sonnen“-Untergang bei der Abschiedsfete „beweinten“. So etwa die „Sonne-Abriss-Band“ mit Fred Osen, Markus Heilmann und Gottlob Schmid, die sich damals am Ende der letzten Brauereigaststätte Kirchheims spontan zusammenfanden und seit jener Zeit gemeinsam spielen. Als vierter Mann kam vor anderthalb Jahren noch Claudio Porcaro als zweiter Gitarrist hinzu. Bastions-Mitbegründer Graziano Manca, das erste italienische Vorstandsmitglied im schwäbischen Keller-Club, wird da sein. Er hatte vor 20 Jahren beim Abschiedsfest ebenfalls zum Mikrofon gegriffen. Mit seiner Version von „Marina“ hätte er auf dem Festival von Sanremo eine bella Figura abgegeben. Auch Hans-Peter Futschek von „Rancid feed“ wird, wie vor 20 Jahren, auftreten und ebenso begeistert wie damals, noch etliche andere.

Das Phänomen „Sonne“ versucht das Bastions-Urgestein Andreas „Anne“ Kenner zu ergründen: Für die Enkel der Apo-Generation ersetzte sie damals das „Hotel Mama“, war aufgrund des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses sozusagen das „Wohnzimmer“ von Schülern, Gymnasiasten, aber auch Lehrlingen. Und wem das Schöll-Bier, „die Rache der Nürtinger Nachbarn an den Kirchheimern“, nicht schmeckte, der hatte, wie Stammgast Konrad Schütze, seine eigene Strategie, zu überleben: „Er warf immer zuerst eine ultrascharfe Pizza Diavolo ein. Danach war der Geschmacksnerv betäubt und das Bier lief“, erinnert sich „Anne“.

Was das Gebräu verdarb, machte Wirt Narcisio Avis Espresso wieder wett. Graziano Manca gerät heute noch ins Schwärmen: „Das war damals der beste weit und breit“. Und Alt-Bastionike Gundhard Racki flößte sich in der „Sonne“ ausschließlich den kleinen, starken Schwarzen ein.

Nun, die Kneipe war eine Institution. „Sie war jeden Samstagmittag um 12.30 Uhr rappelvoll. Man traf immer Bekannte“, erinnert sich „Anne“ Kenner, „und man konnte sich zu jedem an jeden Tisch setzen und ins Gespräch kommen“, schiebt Markus „Murksi“ Heilmann, Bassist der Sonne-Abriss-Band, nach. „Es war übrigens die erste Kneipe in Kirchheim, in die Frauen alleine gehen konnten, ohne angemacht zu werden“, weiß Graziano, und „Anne“ hebt die familienfreundliche Komponente – „Kindersitze und Low-Budget-Preise“ – hervor.

Doch die „Sonne“ war nicht nur das „Organisationsbüro“ des Clubs Bastion. Sie war die „erste Enklave italienischer Arbeiter“ in der Teckstadt, sagt Graziano Manca, der 1960 nach Deutschland kam. Und sie war Multikulti, was der gebürtige Sarde unter anderem auf die Kinder der Wirtsleute Narcisio und Gabriella Avi, Ornella und Angelo Paolo, zurückführt. „So nach und nach sind deren deutsche Freunde auch in die „Sonne“ gekommen“. Allerdings war das Gasthaus nicht nur ein Treff für Jugendliche. „Es gab eine Altersdifferenz von rund 20 Jahren“, sagt „Murksi“ Heilmann. Für die jungen Leute war es wichtig, nicht nur „Spießer“ zu erleben, die etwas gegen laute Rockmusik und lange Haare hatten, sondern sich ganz normal mit Erwachsenen unterhalten zu können.

In der „Sonne“ machte „Anne“ Kenner auch die Anfänge des Public Viewings aus. Freilich gab’s diesen Begriff damals noch nicht. Doch die Kneipe platzte regelmäßig aus allen Nähten, wenn europaweit und weltweit ums runde Leder gekämpft wurde. Dabei ging es nicht ausschließlich um die Nationalität. Es kam vielmehr aufs Geschick des jeweiligen Balltreters an, egal ob er Italiener, Argentinier, Spanier oder Deutscher war.

Dem Wirtsehepaar Avi folgten Antonietta und Marcello mit den Töchtern Raffaela und Severina. Was aber blieb, war Köchin Ilinka und die rustikale Einrichtung. Weißen Tischdecken und Musikberieselung hatte das Publikum von Anfang an vehement eine Absage erteilt und darauf Wert gelegt, die unnachahmliche Atmosphäre der „Sonne“ zu erhalten. Das ging so weit gut, bis die Heinrich Schöll Brauerei als Besitzer das alte Gasthaus in der Alleenstraße 79 verkaufte und der neue Besitzer ein Speiselokal mit Terrasse auf dem Grundstück plante. Der „Sonnen“-Untergang war nicht mehr aufzuhalten.

Von all dem und vielem mehr wird morgen Abend in der Bastion die Rede sein, wenn „Sonnen“-Hungrige sich vor und nach dem Konzert der „Sonne-Abriss-Band“ an alte Zeiten erinnern. Wie ehemals in der Kultkneipe Pizza kauend, versteht sich: Es gibt den Klassiker Margherita, dann Prosciutto, Funghi und Salami.