Kirchheim. Die Österreicher haben eindeutig die Nase vorn. Das Mostviertel ist eine 20 Jahre währende Erfolgsgeschichte, der nachzueifern das Schwäbische Streuobstparadies sich auf die Fahnen geschrieben hat. Mucksmäuschenstill war es „Links am Bach“ in Ötlingen, als Christian Haberhauer, Manager Region Tourismusverband Moststraße, von seinem „Viertel“ erzählte. Bei der Fachtagung „Streuobst erzeugen – verarbeiten – vermarkten“ im Rahmen des Life+ Projekts Vogelschutz in Streuobstwiesen sprach er zum Thema „Über dem Tellerrand – Einblicke in die Vermarktungsstrategie des Mostviertels“.
Dabei wurde schnell deutlich, wo der Schwerpunkt der Österreicher liegt: An erster Stelle steht die Wertschöpfung, Naturschutz kommt wenig vor. Weil sich aber die Kilopreise nach jahrzehntelanger Talfahrt erhöht haben, werden wieder mehr Birnen abgeliefert und auch neue Bäumchen gepflanzt. In der Regel säumen jedoch alte, in einer Reihe gepflanzte Bäume, Straßen und Wege. Sie werden nicht gepflegt. „Wann‘s reif sind, klaubt man‘s halt auf“, so der Tourismusfachmann.
Das Mostviertel ist Birnenland. Zu verdanken ist das Kaiserin Maria Theresia, die eine Million Birnbäume pflanzen ließ – so die Kunde. „In unseren Bäumen steckt jahrhundertealte Geschichte drin und wir können darüber Geschichten erzählen. Das weckt Emotionen und genau das ist wichtig“, erklärte Christian Haberhauer.
Das Mostviertel in seiner heutigen Form ist fünf Betrieben zu verdanken. Die innovativen Landwirte gründeten einen Verein und vernetzten sich mit der Tourismusbranche. Ferner überlegten sie, wer denn zu ihren Konkurrenten zählt. Ihr Fazit: große Getränkehersteller. „Der Wettbewerber ist deshalb nicht der Nachbar, sondern die Konzerne“, führte Christian Haberhauer aus. Daraufhin beschlossen die Pioniere, gemeinsam einen Weg zu gehen und eine Marke zu bilden. Mittlerweile haben sich Hotels, Wirte, Urlaubsbauernhöfe und 30 Gemeinden der Marke Mostviertel angeschlossen. Dazu zählen auch 19 Sehenswürdigkeiten. „In Ihrer Region gibt es die zuhauf – nutzen Sie sie“, lautete ein Tipp des Fachmanns.
Gleichzeitig warnte er jedoch vor allzu großen Erwartungen. Auch im Mostviertel sind die Bäume nicht sofort in den Himmel gewachsen, Geduld war nötig. Außerdem ruhen sich die Österreicher nicht auf ihren Lorbeeren aus. Ständig experimentieren sie an Neuentwicklungen, seien es reinsortige Birnenmoste, ein Birnenbalsamessig oder ein Mostbrot. Eine Erfolgsstory für sich ist die Vierkantflasche, deren Entwicklung eineinhalb Jahre in Anspruch nahm. „Die 0,75-Liter-Flasche spielt eine starke Rolle. In der Region identifiziert man sich damit“, ist Christian Haberhauer stolz auf diesen Verlauf. Die kantige Profilflasche mit schönem Etikett nahm dabei die Form der im Mostviertel traditionellen Vierkanthöfe – die Burgen des Mostadels – auf. Passend dazu gibt es auch das Vierkanterweckerl.
Überhaupt: Kantig ist ein weiteres wichtiges Stichwort des Marketingprofis. „Das Produkt muss Ecken und Kanten kriegen und ein eigenes Profil haben.“ Zu sehr habe man im Mostviertel in der Vergangenheit von den Weinbauern kopiert, sodass kaum noch Unterschiede zwischen einem Sauvignon Blanc und einem Birnenwein erkennbar gewesen seien. „Dann sagten wir uns: Unser Produkt soll gar nicht ein Wein sein und gingen der Frage nach, wie wir uns abheben können“, so Christian Haberhauer – selbstredend, dass die Qualität der Produkte stimmen muss. Nicht zu unterschätzen sei auch die Verpackung. Dazu zählt für die Österreicher auch die Glaskultur. Serviert wird der Most in der Gastronomie im eleganten, langstieligen Achtelglas.
Weil sich trotz aller Bemühungen immer noch zu wenig Menschen mit dem heimischen Saft identifizieren, fahren die Landwirte mit mobilen Pressen in Schulen und führen vor, wie aus Obst Saft wird. „Dank Bag In Box haben die Kinder dann ein Jahr lang Apfelsaft“, erzählte Christian Haberhauer.
Wichtige Repräsentanten sind mittlerweile die Mostbarone. Zu dem erlauchten Kreis gehören 20 Männer und zwei Wirte. Ihr Erkennungszeichen: ein schwarzer Hut mit roter Schleife und weißem Adlerflaum. „Sie stehen für Streuobst und deren Produkte. Egal wo sie auftreten, ob bei Messen oder Festen, haben sie einen Markenauftritt und einen wahnsinnigen Erfolg“, zeigte Christian Haberhauer auf, welche Bedeutung die Truppe innerhalb kurzer Zeit gewonnen hat. Die Barone treffen sich einmal im Monat und entwickeln visionäre Ideen. Auch Christian Haberhauer hat eine Vision: „Jeder Mostviertler hat eine Mostflasche im Kühlschrank stehen.“
Eine der bereits realisierten Ideen ist das Mostbirnhaus. Darin lernt der Besucher die Welt der Birne auf spielerische und multimediale Weise kennen. „Ausprobieren und Mitmachen ist dabei gefragt, unsere Besucher müssen richtig arbeiten“, beschreibt Christian Haberhauer das Konzept.
Einen weiteren, aus seiner Sicht wichtigen Tipp, gab er am Ende seines Vortrags weiter: Das Verhältnis zwischen Praktikern und Theoretikern in Gremien muss stimmen. Deshalb kommen im Mostviertel 70 Prozent der Vorstandsmitglieder aus den Betrieben, 30 Prozent aus Politik und Kommunen. „Es ist wichtig, dass die Betriebe reinkommen. Nur so lässt sich was bewegen“, ist Christian Haberhauer überzeugt. Daraufhin war ein Grummeln in der Zuhörerschaft zu hören – im Vorstand des Schwäbischen Streuobstparadieses ist das Verhältnis gerade umgekehrt.