Kirchheim. Endlich durfte mal einer so richtig auf die Pauke hauen: Mit einem Paukensolo begann die Sommerserenade der Stadtkapelle im Kirchheimer Schlosshof. Doch hier
Ernst Leuze
gaben nicht die Schlägel den Ton an, sondern der Taktstock des Dirigenten. Jedem der drei Einsätze verlieh er individuellen Charakter. Kein Wunder, ist doch Marc Lange studierter Schlagzeuger. Aber er kann auch virtuos mit den Taktstock umgehen. Mehr noch: Seine Art zu dirigieren führt wie mit magischen Kräften nicht nur seine Musiker, im Falle des Paukensolos die Jugendkapelle, sondern auch die Zuhörer. Wer am Sonntagabend dem Dirigenten zuschaute, wusste, welche Art von Musik ihn erwarten würde, überrumpelnde, aufreißende, lyrisch verträumte, analytisch vertrackte oder lustig tanzende. Das alles war in der Schlosshofserenade zu erleben: eine Vielfalt, von der andere Klangkörper nur träumen können.
Zwar gab es gelegentlich auch Intonationskrisen. Doch dabei kann jeder Dirigent nur ohnmächtig leiden. So begann in der Trompetengruppe der Abend, und das tiefe Blech zog später nach. Programm und Freilicht-Atmosphäre hätten ja zu viel mehr Irritation Gelegenheit geboten. Die Holzbläser indessen blieben standhaft und verweigerten sich fast jeder Intonationstrübung. Zuweilen konnte man fast vergessen, dass hier erst der Nachwuchs an der Reihe war. Zum Beispiel beim Fangando für Marimbafon und Blasorchester. Das war so makellos von Katharina Sommer gespielt und so perfekt begleitet, dass danach der Schlosshof vor Begeisterung kochte. Doch auch die Jugendkapelle als Ganzes glänzte nicht nur mit knackiger Präzision, berückenden Klangfarben und – besonders beim zweiten Stück „Carthago“ – mit der sensationellen Fähigkeit, den Intentionen des Dirigenten zu folgen. Drei absteigende, lang gezogene Töne nur, aber welch ein Ausdruck. Ein Detail, das auch in den besten Sinfonieorchestern nicht selten routinemäßig – auch von Dirigenten – erledigt wird, geriet im Kirchheimer Schlosshof zu einer musikalischen Offenbarung.
Mit solchen Schlüsselmomenten bewiesen die jungen Musiker, was ihr Meister in eine seiner launigen Ansagen eingeflochten hatte: „Es geht uns nicht darum, dass die jungen Menschen in der Stadtkapelle halt ein Instrument spielen lernen, wir wollen sie auch ans Musikmachen heranführen.“ Was darunter genau zu verstehen sei, wurde besser als mit vielen Worten von Marc Lange und seinen jungen Spielern selbst demonstriert. Etwa wenn sich der Dirigent bei „Lord Tullamore“ flugs in einen „Pan“ verwandelte und auf der Stelle von anmutigsten „Panflöten“ musikalisch umringt war, oder wenn die Pause zum zweiten Stück mit atemloser Spannung erfüllt war, oder beim abschließenden „Stevie Wonder in Concert“ die schwierigsten Tempowechsel mühelos und vor allem musikalisch zwingend vollzogen wurden – gar nicht so leicht bei dem etwas hemdsärmeligen Arrangement.
Eigentlich hätte man nach diesem reichhaltigen ersten Teil der Serenade schon beglückt nach Hause gehen können. Ob die „Profis“ der Stadtkapelle noch wesentlich Besseres bieten würden? Sie taten es! Hatte man zu Beginn der Rossini-Ouvertüre zu „Der Barbier von Sevilla“ noch die Leichtigkeit originaler Violinklänge vermisst, so wurde immer klarer, dass Marc Lange eben auch Erfahrung mit großen Sinfonieorchestern hat. Wie er zum Beispiel die Stretta des Schlusses hinlegte, war so jenseits aller Blasorchester-Behäbigkeit, wie es auch ein hoch dotiertes Rundfunkorchester nicht besser hätte servieren können. Im ähnlich professionellen Bereich bewegte sich die Wiedergabe von „The Island of Light“. Dieses durch elektronisch gespeicherte Naturklänge von der Insel Menorca angereicherte Stück hat gefährliche Längen. Es geht bis über die Grenze zum Atonalen, aber auch Banalen. Doch die Stadtkapelle spielte souverän über alle Untiefen hinweg. Wie der Dirigent den Klangkörper mit der eingespielten Klangkulisse aus den Lautsprechern koordinierte, ohne Knopf im Ohr, verdient höchste Bewunderung. Einige Details noch: Ralf Sach am E-Piano schlüpfte gekonnt in die Rolle des gefühlvollen Barpianisten. Die tiefen Register der Kapelle glänzten mit Intonations-Reinheit, die man selbst im Opernhaus selten erlebt. Nur die Flötenspieler sind im Klatschen längst nicht so gut wie im Fingern und Flöten: Irgendwann legten sie ein Verhauchen ohne die geringste Intonationstrübung hin – das macht ihnen so schnell niemand nach. Zur Schlagzeug-Fraktion: Weil die Hofecke, vor der sie standen, für manche Hörerplätze die Klänge zu sehr verstärkte, hörte sich manche Attacke etwas zu aggressiv an. Da hatte es das Stabspielgenie Vanessa Wünsch leichter. Sie konnte den Spielern von hinten wie gewohnt einheizen, ohne je zu laut zu sein.
Mit den letzten zwei Stücken wurde vollends klar, dass die Serenade als Huldigung an die Latino-Musik gedacht war. Höhepunkt die „Danzas Cubanas“: gepfeffert, zärtlich, verträumt, elektrisierend. Es gab begeisternde Soli zuhauf aus allen Instrumentengruppen: Besser geht es nicht.
In „Conga del Fuego Nuevo“ von Arturo Márquez wird das immer gleiche Motiv bis zum Überdruss abgenudelt. Wenn es trotzdem zum entspannenden Schlusspunkt geriet, dann einzig und allein durch die inspirierte Interpretation der Stadtkapelle, die auch den Fünf-Viertel-Takt zünftig herausfetzte.
Die Zugabe war unvermeidlich: Schon zum dritten Mal bei der Sommerserenade traten Stadtkapelle und Jugendkapelle dabei zusammen auf. Sie spielten ein Medley aus dem Musical „Chicago“. Immer noch unter Strom stand der Dirigent, mit noch mehr Volt als zuvor. Und die fast unzählbare Schar der Musiker spielte mit der Leichtigkeit eines Streichquartettes und der Laune einer Dixie-Band. Dass man die Dankesworte Marc Langes nicht immer verstand: Was macht das schon? Das Publikum lag ihm und seinen Musikern ohnehin zu Füßen. Nächstes Mal wird es vermutlich noch früher erscheinen – um ja noch einen Platz zu ergattern.