Holzmaden. Eifrig schleppen die Jungen und Mädchen ihre Instrumentenkoffer auf den Schulhof, hieven das Schlagzeug an den richtigen Platz und bauen ihre Notenständer auf. Es dauert nicht lange, bis die ersten Töne zu hören sind. Drei Mädchen an den Klarinetten spielen einige Takte von „Freude schöner Götterfunken“, während ein Junge in die Tuba bläst und ein anderer ein routiniertes Schlagzeug-Solo liefert. Keine Frage: Die jungen Musiker der Bläserklasse Holzmaden strotzen nur so vor Spielfreude.
23 Dritt- und Viertklässler gehören der Bläserklasse an. Ab dem kommenden Schuljahr wird es sogar zwei Bläserklassen geben – eine für die Viertklässler mit 13 Schülern und eine für die neuen Drittklässler. „Aus der aktuellen zweiten Klasse haben sich bereits 19 von 20 Kindern angemeldet“, veranschaulicht Michael Liebrich, Jugendleiter des Musikvereins und Initiator des Projekts, welche Anziehungskraft die Bläserklasse bereits ein Jahr nach ihrer Gründung besitzt. Auch Claudia Frank, die musikalische Leiterin, ist von dem Ansturm überwältigt: „Die Resonanz ist unglaublich“, bestätigt sie.
Ein Schlüsselerlebnis hatte Michael Liebrich auf die Idee gebracht, das vom Musikverein finanzierte Kooperationsprojekt mit der Grundschule ins Leben zu rufen: „Damals gab es ein Vorspiel des Musikvereins an der Schule“, erinnert er sich. Ein Kind hatte regelrecht Feuer gefangen und wollte unbedingt ein Blasinstrument lernen. Die Mutter jedoch rief bei Michael Liebrich an und teilte ihm mit, dass sie nicht in der Lage sei, die musikalische Ausbildung zu finanzieren. Michael Liebrich setzte daraufhin im Verein alle Hebel in Bewegung – und konnte der Familie bald grünes Licht geben. Klar war dem Jugendleiter jedoch auch, dass dies kein Einzelfall war. „Ich fand es so schade, dass nicht jedes Kind ein Instrument lernen kann“, sagt er.
Mit der Idee, eine Bläserklasse zu gründen, in der jedes Kind der dritten und vierten Klasse für lediglich zehn Euro im Monat ein Blasinstrument oder Schlagzeug lernen kann, rannte er bei Heike Wannek, Rektorin der Grundschule in Holzmaden, offene Türen ein – zumal die Schule ein Musikprofil besitzt. Schon seit Jahren ist der Flötenunterricht fester Bestandteil des Unterrichts. „Jungs spielen aber oftmals nicht so gerne Flöte“, weiß Michael Liebrich.
Der einzige Haken an der Idee waren die immensen Kosten, die auf den Verein zukamen. Doch auch da war Michael Liebrich von Anfang an zuversichtlich und engagiert. Er organisierte ein Benefiz-Jugendkonzert anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Musikvereins zugunsten der Bläserklasse und klapperte alle potenziellen Sponsoren ab, um zumindest eine Erstausstattung an Instrumenten und einen Teil der Ausbildung finanzieren zu können. Dass die Finanzierung glücken könnte, hatte zu Beginn außer ihm fast niemand geglaubt. „Ich bin beinahe ausgelacht worden“, erinnert sich der Jugendleiter. Doch nun zahlt sich aus, dass er den Mut nie verloren hat: Nur ein Jahr nach der Gründung ist die Bläserklasse schon zu einer kleinen Erfolgsstory geworden – und zwar in vielerlei Hinsicht.
„Am 6. Mai hatten wir unseren ersten öffentlichen Auftritt“, berichtet Claudia Frank. Im Foyer der Gemeindehalle konnten die jungen Musiker nur wenige Monate nach dem ersten Kontakt mit ihren Instrumenten ein Repertoire präsentieren, das eine dreiviertel Stunde füllte und von „Old Mc Donald“ über „Aura Lee“ und „Hard Rock Blues“ bis hin zu „Freude schöner Götterfunken“ reichte.
„Es ist unglaublich, wie schnell die Dritt- und Viertklässler ihre Instrumente beherrschen“, sagt Claudia Frank, die nicht nur Mitglied des Musikvereins, sondern auch ausgebildete Grundschullehrerin ist. Das liegt auch am Konzept der Bläserklasse. Neben dem Unterricht im Ensemble erhalten die Schüler einmal die Woche je nach Instrument Einzelunterricht oder Unterricht in Zweier- oder Dreiergruppen bei spezialisierten Einzelausbildern.
Angeboten werden Querflöte, Klarinette, Saxofon, Trompete, Horn, Tuba und Schlagzeug in Kombination mit anderem Schlagwerk. Welches dieser Instrumente sie spielen wollen, können sich die Kinder selbst aussuchen – zumindest weitgehend. „Das Verhältnis im Ensemble muss eben passen“, sagt Michael Liebrich.
Bei den Instrumenten, die die Schüler kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, kann der Musikverein zwar zum Teil aus seinem Fundus schöpfen. Zahlreiche Instrumente musste er aber auch neu anschaffen, darunter Kindertrompeten und eine kleine Kindertuba. „Dabei achten wir auch auf die Qualität, damit die Kinder nicht den Spaß verlieren“, betont Michael Liebrich.
Die musikalischen Fortschritte sind zwar am besten messbar – aus Sicht von Claudia Frank aber längst nicht die einzigen Erfolge. „Das Selbstbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl der Kinder werden gestärkt“, weiß die Pädagogin. Auch Michael Liebrich hat beobachtet, dass die Bläserklasse ein eigenes soziales Gefüge bildet. Immer wieder sind die Grundschüler auch bei Aktivitäten der Musikvereinsjugend mit von der Partie. Zudem profitierten die Kinder auch in anderen Bereichen von der musikalischen Bildung: „Die Dritt- und Viertklässler müssen bei Takt und punktierten Noten ja sozusagen jetzt schon bruchrechnen“, so Liebrich.
Zu guter Letzt hat auch der Musikverein etwas von dem Projekt: „Für uns ist das Nachwuchswerbung“, sagt Michael Liebrich. Dahinter steckt jedoch eine Menge Arbeit. Neben Michael Liebrich, seiner Co-Jugendwartin Melanie Metzger und der musikalischen Leiterin Claudia Frank, engagieren sich zahlreiche andere Vereinsmitglieder in der Organisation und beim Einzelunterricht.