Ingrid Riedel hält einen Vortrag zu ihrem Buch „Die innere Freiheit des Alterns“
Mut zum ÄlterwerdenInfo

„Älter werden ist nichts für Feiglinge“, hat Joachim Fuchsberger einmal etwas lapidar, aber doch irgendwie zutreffend formuliert. Ob Alzheimer oder Arthrose – man weiß oder ahnt, dass das Alter nicht nur Vergnügliches für einen bereithält. Wie also damit umgehen?

Kirchheim. Ingrid Riedel ging in der voll besetzten Buchhandlung Zimmermann dem Älterwerden auf den Grund. Den Vortrag zu ihrem Buch „Die innere Freiheit des Alterns“ eröffnete sie mit der Feststellung, dass der Alterungsprozess heute anders aussehe als früher, sie sprach gar von einer „aktiven Anpassungsleistung der Älteren“. Mit anderen Worten: „Nicht das Alter ist das Problem, sondern die Einstellung dazu“ (Cicero). Die am Bodensee lebende und wirkende Theologin und Psychotherapeutin lenkt ihr Augenmerk auf die letzte Lebensphase des menschlichen Weges, die sie selber im Begriff ist zu durchschreiten.

Diese Tatsache gibt ihren Darstellungen, Beispielen und Reflexionen ein eigenes Gewicht und eine Ernsthaftigkeit, ohne dass einem das Thema zu „schwer“ wird. Mit zwölf Kapiteln, einem Vor- und Nachwort, mit Hinweisen zu weiterführenden literarischen Spaziergängen und Streifzügen erweist sich der Band als ein gut lesbarer Text, der für Betroffene viele Anregungen bietet und auch Trost und Ermutigung darstellt.

Älter werden bedeutet für Ingrid Riedel zweierlei: Leben ausschöpfen und Leben loslassen. Es gelte, diese Spannung auszuhalten, Unvollkommenes anzunehmen, um zu innerer Ruhe und Gelassenheit zu finden. „Leben ohne Warum“, wie der Mystiker Meister Eckhart sagt.

Ähnlich wie die letzten Minuten bei einem Spiel, seien die letzten Jahre etwas Kostbares, ihr Lebensinhalt solle bewusst gestaltet werden. Auch unangepasstes Verhalten sei erlaubt, man habe ein Recht auf den „heiligen Zorn“, auf kleine Narrheiten, was Bertolt Brecht in „Die unwürdige Greisin“ beschrieben hat. Demons­trieren sei erlaubt, Männer dürften sich in dieser Lebensphase „weicher“ zeigen. Die Ernte könne eingefahren werden – im Sinne eines „Zu-Ende-Bringens“ eines Vorhabens.

Mehrmals wies Ingrid Riedel da­rauf hin, dass die Gehirnforschung davon ausgehe, dass das Lernvermögen eines Menschen auch im Alter nicht nachlasse, außer natürlich infolge von Krankheiten. Weshalb also keine neue Sprache lernen oder in Länder reisen, die man unbedingt kennenlernen möchte?

„Leben loslassen“ bedeutet für Ingrid Riedel, Gelassenheit zu üben, ein Wort, das Meister Eckhart kreiert hat und das es in anderen Sprachen gar nicht gibt. Man solle sich „der Strömung hingeben“, sich tragen lassen, dabei aber noch das Ufer erreichen, was intensives Leben bedeute. Das einfache Sein stehe in dieser Lebensphase im Vordergrund, Quantitatives solle reduziert, Qualitatives betont werden. Aufgaben und Funktionen könnten getrost Jüngeren überlassen werden.

Man müsse sich versöhnen mit dem Leben, Verluste und Gewinne akzeptieren und leben um des Lebens Willen. Hilfreich dabei sei das Erinnern – es hat für Riedel einen schöpferischen Charakter. Da Brüche und Verluste im Alter zahlreich seien, Krankheiten bewältigt werden müssten und Autonomie verloren gehe, müsse einen die Gelassenheit tragen, die entstehe, wenn man selbst „mütterlich“ mit sich umgehe und man sich vom Leben tragen lasse.