Kreisbauerntag fordert verstärkten Dialog mit der Bevölkerung – gegen „Agrarschizophrenie“
Nachhilfe für König Kunde

Kurz zuvor war noch von „Mutter Erde“ gesprochen worden. „Wenn dann der Mutterboden die Inliner verstopft, wird aus ihm ein Stück Dreck“, sagte Clemens Dirscherl, Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg. Beim Kreisbauerntag beklagte er die verbreitete „Agrarschizophrenie“.

Köngen. „Wenn alle, die die Grünen gewählt haben, auch so einkaufen würden, hätten wir einen boomenden Biomarkt“, sagte Dirscherl in der Köngener Eintrachthalle vor 150 Landwirten, mehreren Abgeordneten und Bürgermeistern. Doch oft gebe es eine gespaltene Wahrnehmung. Zur Kochshow im Fernsehen werde die Fünf-Minuten-Terrine geöffnet. Öko sei in, regional sei in. „Aber wir können nicht davon ausgehen, dass mit einem Schalter ein lange erlerntes Verhalten gewechselt wird. Mit König Kunde müsse man sehr geduldig sein: „Man muss ihm Nachhilfe geben.“

Die „Agrarschizophrenie“ der modernen Gesellschaft“ erlebt Dirscherl besonders im Ballungsraum. Wunsch und Wirklichkeit, Schein und Sein passten nicht zusammen. Ob Lebensmittel noch Schätze seien, wenn wir sie zu 30 Prozent vernichten? „Ohne Wertschätzung ist die Wertschöpfung noch schwerer, erst recht für die Landwirtschaft.“ Mit neuen Firmen oder einem Neubaugebiet gehe ein Bürgermeister leider eher in die Geschichte ein als mit der Rettung der drei letzten Landwirte am Ort.

In der Politik gehe es um eine Abwägung. Oft gebe es unterschiedliche Expertenmeinungen, etwa zur Freilandhaltung von Hühnern. Der hohe Energieverbrauch eines Gewächshauses sei mit dem Aufwand für den Import zu vergleichen. Einerseits warnte Dirscherl vor „fundamentalistischem Weltverbesserungsdrang“, andererseits nahm er die Landwirte in die Pflicht: „Nicht alles, was an gesellschaftlichen Anfragen kommt, ist gleich böse.“ Dirscherl mag es gar nicht, wenn Bauern über NGOs, also Interessensverbände, schimpfen. „Sie sind Bündnispartner für die Zukunft.“

Er beschrieb ein Horrorbeispiel: Gentechnisch verändertes Futter werde aus Schwellenländern nach Niedersachsen importiert. Dort würden die Ställe immer größer, die überschüssige Gülle lande in der Nordsee. Weil es zu viel Schweinefleisch gebe, werde dieses dann nach China exportiert. Da sei Kritik gerechtfertigt, ebenso bei den Exportsubventionen auch in Entwicklungsländer. „Sie wurden heruntergefahren, sind aber immer noch da.“ Den Landwirten empfahl Dirscherl den Dialog: Der Bauer solle den Jogger mit Hund fragen, ob er den Salatkopf neben dem Hundekegel gerne essen würde.

Für einen „tieferen Dialog mit der Bevölkerung“ trat auch Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen, ein. „Im Verborgenen handeln wollen, funktioniert nicht mehr.“ Es sei enttäuschend, wie wenig die Leute heute über Landwirtschaft wüssten. Landwirt sei ein vielseitiger Beruf, der Landwirt sei Manager, Mechaniker, Mediziner, Arbeitgeber und Buchhalter. Die Betriebsergebnisse seien im vergangenen Jahr „auf verbesserungsfähigem Niveau stabil“ gewesen.

Nägele wehrte sich gegen die im Zuge des „Greening“ geforderte Stilllegung von Flächen. „Wir sind so kleinteilig. Es ist besser, vom Ertrag zu leben, als irgendetwas stillzulegen. Auch zur Tierhaltung nahm er Stellung. „Keiner definiert, was Massentierhaltung ist. Wenn ich Kuh wäre, würde ich mir den Tierhalter aussuchen, nicht die Stallgröße.“ Es sei nicht möglich, jedes Jahr nach den neuesten Erkenntnissen einen neuen Stall zu bauen.

Der Erste Landesbeamte Matthias Berg betonte, der Landkreis Esslingen sei der am dichtesten besiedelte Flächenlandkreis Deutschlands, mit der geringsten landwirtschaftlichen Fläche pro Einwohner. Vor 40 Jahren habe ein Landwirt 27 Menschen versorgt. Heute seien es 132. Vor allem jungen Menschen sei ein Bild der Landwirtschaft zu vermitteln. Der Interessensausgleich zwischen Landwirtschaft und Naturschutz sei „eine Kunst und manchmal auch Ärger.“

Der geforderte Dialog wächst bereits: Im Landkreis beteiligten sich im letzten Jahr 34 Betriebe an der landesweiten Aktion „Gläserne Produktion“. Sieben Betriebe waren bei „Lernort Bauernhof“ dabei. Sie wurden ebenso geehrt wie 18 Auszubildende sowie mehrere Meisterinnen und langjährige Ortsobmänner. Hermann Schmid aus Kirchheim und Hans Frank aus Hochdorf üben dieses Amt seit 20 Jahren aus.