Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Nürtinger AfD-Bundestagskandidatin Kerstin Hanske verbindet eines: ihre Herkunft aus dem Osten Deutschlands. Das war‘s dann auch schon mit Gemeinsamkeiten. „Ich dachte: Uups, eine Bundeskanzlerin aus dem Osten – vielleicht macht sie was draus!“, erzählt die gebürtige Görlitzerin. „Sie hat nichts draus gemacht“, lautet die nüchterne Bilanz 16 Jahre später. Dahinter steckt vor allem das Bedauern darüber, nichts aus der ehemaligen DDR übernommen zu haben. Obwohl Kerstin Hanske selbst kurz vor der Maueröffnung unter großen Risiken geflohen ist, betont sie immer wieder, dass der Arbeiter- und Bauernstaat auch seine guten Seiten hatte. Ganz wichtig: „Jeder hatte Arbeit.“ Der Knackpunkt ist, eine Aufgabe zu haben. – Damit begründet sich auch ihre Kritik an der großzügigen Gewährung von Kurzarbeitergeld. Geld könne die fehlende Aufgabe und das Gefühl der Nützlichkeit für den einzelnen nicht ersetzen. Es habe somit vor allem die Staatskasse und damit den Steuerzahler belastet.
„Die Arbeitslosigkeit in der Region wird wachsen“, malt die Verwaltungsfachkraft schwarz. Beschleunigt werde dies durch die vorschnelle Abschaffung des Verbrennermotors. Sie sieht dadurch nicht nur viele Zulieferbetriebe und Fabriken lahm gelegt, sondern fürchtet langfristig auch die Unmöglichkeit, jedes Auto, auch in Wohnanlagen, mit Strom zu versorgen: „Solange die Elektromobilität nicht ausgereift ist, kann man nicht die Alternativen abschaffen.“, argumentiert sie. Für sie persönlich, die täglich per Auto zur Arbeit pendelt, steht derzeit ein Umstieg nicht zur Debatte.
Für den Klimaschutz gelte, dass dieser nicht auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden dürfe. Den menschengemachten Einfluss zoomt sie auf konkrete Details herunter: Beispielsweise hätten die verheerenden Fluten in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass in Überschwemmungsgebieten nun mal keine Baugebiete ausgewiesen werden dürften. Zudem müsse man funktionierende Strukturen wie etwa die Alarmierung im Katastrophenfall per Sirene erhalten. – Auch etwas, das in der DDR stets ordentlich geprobt worden sei.
„Merkel hat sich zu wenig um ihr eigenes Land gekümmert“, beklagt die 51-Jährige das Bündel an Fehlentwicklungen. Das treffe jeden, sei nur noch nicht jedem bewusst geworden. Ganz schlecht seien die Renter dran: „Die Rentenbesteuerung halte ich für die größte Ungerechtigkeit“, betont sie und fordert zudem Rentenanpassungen. Auch hier zeige sich, was Hanske als generelle Leitlinie beklagt: „Die Regierung befindet sich auf einem schleichenden Linkskurs.“
Sich anzubiedern an die Mitte, um diesen Kurs vielleicht eines Tages im Rahmen einer Koalition zu beeinflussen, ist für die Nürtingerin nicht zielführend. Zwar sieht sie, dass speziell im Südwesten viele Parteimitglieder den eher gemäßigten Kurs von Jörg Meuthen unterstützen – letztlich mit dem Ziel, koalitionsfähig zu werden. Hanske hat persönlich das Ziel, das AfD-Ergebnis im Kreis von 2017 zu überbieten. Es lag bei 11,9 Prozent Erst- und 12,2 Prozent Zweitstimmen. Sympathien hegt sie auf Bundesebene für den weit rechts verorteten stellvertretenden Fraktionschef Tino Chrupalla. Nicht zuletzt deshalb, weil auch er aus Görlitz stammt.
Insgesamt spricht sich die Kreisrätin klar für einen eigenen AfD-Weg aus: „Warum soll uns der Wähler wählen, wenn wir das Gleiche bieten wie die anderen?“ Ihre konkrete Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ dürfte bei anderen Parteien kaum anders ausfallen: „Weil wir auch nach der Wahl dazu stehen, was wir vorher gesagt haben.“
Inhaltliche Abgrenzungsmöglichkeiten bietet die EU, aus der die AfD bekanntlich austreten will. Zentraler Punkt hier ist die Flüchtlingspolitik. Neue Asylsuchende sollten nur Sachleistungen erhalten, zumindest bis zur Klärung des Bleibestatus, um finanzielle Anreize zu mindern. Straffällige Flüchtlinge will sie sofort abschieben. Von den nicht Straffälligen dürfe bleiben, wer wirklich Not leide. – Die exakte Definition, was Not ist, bleibt die Kandidatin schuldig und verweist auf die Notwendigkeit von Einzelfallprüfungen. Ungeachtet dessen ist ihr die schleppende Bürokratie ein Dorn im Auge. Das Thema Flüchtlinge ist für die AfD eng mit der inneren Sicherheit verknüpft. Das Sicherheitsgefühl habe nachgelassen, beobachtet Kerstin Hanske auch im Wahlkreis.
Weiteres wichtiges Thema an den Wahlständen ist Corona. Die selbst nicht gegen Corona geimpfte Kandidatin kritisiert den langen Lockdown, dem gegenteilige Versprechungen vorangegangen waren. „Da haben sich die Politiker unglaubwürdig gemacht“, prangert sie Verantwortliche wie Jens Spahn an. Ihre Lösung wäre gewesen, alles laufen zu lassen. Impfpflicht lehnt sie ab: „Die Politiker haben uns schon viel erzählt“, meint sie skeptisch und beharrt: „Wir setzen auf Freiwilligkeit.“
Der Weg der Kirchheimer AfD-Kandidatin in die Politik
Kerstin Hanske wurde 1970 in Görlitz geboren und verbrachte die ersten 18 Jahre ihres Lebens in der DDR. Ihre Familie war systemkritisch, weswegen ein Universitätsabschluss unmöglich war.
Mitglied der AfD ist sie seit 2012. Ihr Entschluss zum Beitritt beruhe in erster Linie auf den sichtbaren Veränderungen, die sich deutlich von einem konservativen und liberalen Land wegbewegten, wie sie selbst sagt. Hanske gehört zu den Gründungsmitgliedern des Ortsverbandes Nürtingen. Ein Jahr später wurde sie Schriftführerin im Kreisvorstand Esslingen gewählt und ist seit über einem Jahr dessen Sprecherin, gemeinsam mit Christof Deutscher. Seit der Kommunalwahl 2019 ist sie auch Kreisrätin.
Seit über 30 Jahren ist Kerstin Hanske nun schon im medizinischen Bereich tätig, zunächst als Rönt-genassistentin, später dann in der Pflegeorganisation beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Seit einigen Jahren arbeitet sie in der medizinischen Verwaltung.
Ihre Familie stehe hinter allen ihren Ehrenämtern, betont die Kandidatin: „Das ist gerade in unserer Partei sehr wichtig.“ Sie ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Familie, Beruf und die Alternative – da braucht es keine Hobbys mehr, beteuert sie. tb