Im Kampf gegen den Ärzte- und Personalmangel beschreitet das Hausärztehaus in Kirchheim immer wieder neue Wege. Die Digitalisierung vieler Abläufe und der Einsatz eines Messenger-Systems sorgen dort seit einiger Zeit dafür, dass Patienten einfacher an Termine kommen und Ärzte ohne Umwege mit den Patientinnen kommunizieren können. Auch an der Art und Weise, wie das Team Patienten versorgt, hat die Praxis in den letzten Jahren geschraubt: Nicht-ärztliches Personal übernimmt dort immer mehr Aufgaben, die seither von Ärzten erledigt worden sind, und sorgt so für Entlastung.
Wichtige Filterfunktion
Im Hausärztehaus ist das unter anderem Vanessa Zeeb. Die junge Frau hat eigentlich mal Zahnarzthelferin gelernt, dann die Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten (MFA) draufgesattelt und schließlich noch die Weiterbildung zur VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) drangehängt. „Das hat mir aber alles noch nicht gereicht“, sagt die 28-Jährige, die eigentlich Medizin studieren wollte, jedoch keinen Studienplatz bekam. Mittlerweile hat Zeeb das Studium zur Physician Assistant (PA), auf Deutsch Arztassistentin, abgeschlossen und nimmt den Ärztinnen und Ärzten beispielsweise die Erstanamnese-Gespräche und die Reiseimpfberatungen ab. Patienten, die nicht direkt einen Termin erhalten können, werden erst einmal von ihr angeschaut, um die Wartezeit zu überbrücken. „Vanessa übernimmt für uns eine wichtige Filterfunktion“, sagt Dr. Angela Schweizer, Hausärztin und Miteigentümerin der Praxis.
Arztassistentinnen wie Vanessa Zeeb werden bisher hauptsächlich in Kliniken eingesetzt, denn auch dort fehlt es an Personal. Nun sollen sie auch in Hausarztpraxen häufiger ihre Expertise einbringen und Lücken schließen. Weil das Kirchheimer Hausärztehaus diesen Weg schon eine Weile beschreitet und auch bei der Einbindung digitaler Tools Vorreiter ist, ist sie für das „HÄPPI“-Pilotprojekt als Modellarztpraxis ausgesucht worden – gemeinsam mit neun anderen im Land. Ziel ist es, Erfahrungen zu sammeln, wie das „HÄPPI“-Konzept (also die stärkere Einbindung von Praxispersonal und die Nutzung digitaler Tools) in der Praxis umgesetzt werden kann und welche Auswirkungen es auf die Versorgungsqualität und Arbeitsabläufe hat. „HÄPPI“, kurz für „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“ ist kürzlich abgeschlossen worden und wird nun von der Uni Heidelberg ausgewertet. Arztpraxen in ganz Deutschland sollen von den Erkenntnissen profitieren. Gestartet wurde das Projekt vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband.
„Rückfallebene“ Arzt
Im Hausärztehaus ist man froh über die Verstärkung. Dr. Christopher Hahn, Hausarzt und Miteigentümer, ist überzeugt, dass Vanessa Zeeb in Zukunft noch mehr Aufgaben übernehmen kann. „Wir arbeiten sie in die Aufgaben sorgfältig ein, vergewissern uns, dass sie die Aufgaben den medizinischen Standards zufolge erledigt, und dann geben wir die Aufgabe frei“, sagt er. Bei kritischen Entscheidungen erfolge natürlich immer die „Rückfallebene“ über den Arzt. „Im Rettungsdienst funktioniert das ja schon lange so, dass erst einmal Rettungssanitäter die Ersteinschätzung machen und dann gegebenenfalls einen Mediziner dazuholen“, sagt Dr. Christopher Hahn. Der Einsatz von Physician Assistants in Hausarztpraxen sei „nur die konsequente Umlegung auf den ambulanten Bereich“. Auch Vanessa Zeeb betont: „Wenn ich unsicher bin, gehe ich zu den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen und frage nach.“ Man müsse sich eingestehen, „dass man nicht alles wissen kann“.
Auch bei den Patientinnen und Patienten kommt die PA gut an. „Bei mir hat sich noch keiner beschwert, dass er unbedingt einen Arzt sehen möchte“, sagt Zeeb. Dr. Angela Schweizer gibt zu, dass ihre Kollegen und sie anfangs Sorge hatten, dass die Patienten an den Ärztinnen und Ärzten „klammern“ würden. Das sei aber überhaupt nicht so.
Info Im Hausärztehaus in Kirchheim arbeiten elf Ärztinnen und Ärzte, darunter sechs Praxiseigentümer, zwei angestellte Ärztinnen und drei Weiterbildungsassistentinnen. 19 Medizinische Fachangestellte, vier Auszubildende und eine Arztassistentin machen das Team komplett. Täglich werden zwischen 250 und 400 Patientinnen und Patienten behandelt.