Kirchheim
100 Jahre Seminar: „Aus Kirchheim fürs Land“

Festakt Das Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte feiert im Schloss sein Jubiläum. Die aktuellen Lehramtsanwärter wünschen sich mehr Anerkennung und bessere Aufstiegschancen. Von Andreas Volz

Auf 100 Jahre kann das Kirchheimer Seminar zurückblicken – das älteste seiner Art, das der damalige württembergische Staatspräsident Johannes von Hieber im Juli 1923 vor Ort als „unser erstes staatliches Seminar zur Ausbildung von Hauswirtschaftslehrerinnen“ bezeichnet hatte. Insbesondere hob der
 

Der Weg der Frauen in den Schuldienst war mehr als steinig – auch wegen des Lehrerinnenzölibats.
Ute Recknagel-Saller
erinnerte an eine alte Regelung: Lehrerinnen durften lange Zeit nicht heiraten. Andernfalls verloren sie ihre Arbeit und ihre Pernsionsansprüche.

Staatspräsident den persönlichen Einsatz der ersten Seminarleiterin, der promovierten Germanistin Vera Vollmer hervor: „Daß wir heute so weit sind, ist ganz wesentlich der unermüdlichen aufopfernden Hingabe von Frl. Regierungsrätin Dr. Vollmer zu danken.“

Nachzulesen ist der Bericht zur Gründungsfeier in der Teckboten-Ausgabe vom 10. Juli 1923. 100 Jahre später las die aktuelle Seminar-Direktorin, Ute Recknagel-Saller, zur Jubiläumsfeier im Schlosshof aus diesem Artikel vor und zeigte damit auf, dass sich wesentliche Bestandteile einer solchen Feier nicht geändert haben – war doch damals schon von „gesanglichen und deklamatorischen Darbietungen der Schülerinnen“ die Rede. Gesungen, musiziert und getanzt wurde auch im Juli 2023, wenn auch nicht mehr von „Schülerinnen“, sondern von Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern.

Die Anwesenheit von Seminaristen zählt freilich nur zur halben Geschichte der Kirchheimer Bildungseinrichtung, denn Männer waren erstmals im Jahr 1970 zur Ausbildung zugelassen, also vor 53 Jahren. Trotzdem hat in den gesamten 100 Jahren das aktuelle Jubiläumsmotto gegolten: „Aus Kirchheim fürs Land.“

Kirchheim in der Vorreiterrolle

Lehrerinnen gab es schon vor 1923, aber die Ausbildung war bis dahin nicht geregelt, geschweige denn einheitlich oder gar staatlich. Das änderte sich erst 1923, und Kirchheim spielte dabei die Vorreiterrolle für ganz Württemberg. Im Krisenjahr 1923 herrschte im Bildungssektor immer noch die Aufbruchstimmung nach Ende des Ersten Weltkriegs. Ute Recknagel-Saller zufolge ging es um „die Aufwertung und Professionalisierung der Ausbildung und der Arbeit von Lehrerinnen“. Auch die Besoldung sei damals erhöht worden.

„Von der Handarbeit zur Medienbildung in 100 Jahren“: Unter dieses Motto stellte Sandra Boser, Staatssekretärin im Kultusministerium ihr Grußwort. „Sie alle sind für unsere Schulen im Land unverzichtbar“, wandte sie sich an die Fachlehreranwärter. Schließlich zähle der Fachkräftemangel auch an den Schulen „zu unseren größten Herausforderungen“.

Wegen des Lehrerinnenzölibats sei die Ausbildung 1923 „nicht gerade attraktiver geworden“, stellte Oberbürgermeister Pascal Bader fest. Er bezeichnete das Seminar als „wichtigen Bestandteil für die Bildungslandschaft in unserer Stadt“, denn „Kirchheim wäre ohne das Seminar ärmer“.

Deutliche politische Forderungen stellte Gerhard Brand, der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung: „Die Seminare müssen personell gut aufgestellte sein“, konstatierte er. Außerdem bräuchten die Fachlehrkräfte bessere Perspektiven, in Form von Aufstiegschancen.

Das deckte sich mit den Forderungen, die Lehramtsanwärterin Jael Siegert ansprach: „Wir wünschen uns mehr Wertschätzung und Anerkennung für den Berufsweg, den wir gewählt haben.“ Das beginne schon in der Ausbildung: Hier wünscht sie sich eine Erweiterung des Fächerkanons, eine Möglichkeit, die Fächer auch während der Ausbildung noch wechseln zu können, sowie eine Ausweitung der Wahlmöglichkeiten durch ein drittes Fach.

Die Kirchheimer Landtagsabgeordneten waren beim Festakt vollständig versammelt. Langfristig besteht für Jael Siegert also die Chance, in der Landespolitik tatsächlich Gehör zu finden, denn eins hat sich in den vergangenen 100 Jahren nicht geändert: Die Ausbildung wurde immer wieder an die Erfordernisse der jeweiligen Zeit angepasst.