Jenseits der Pflichten befindet sich Angelika Matt-Heidecker am kommenden Montag, wenn Pascal Bader ihren Platz auf dem Chefsessel des Kirchheimer Rathauses einnimmt. Nicht, dass es für die Noch-Amtsinhaberin dann keinerlei Pflichten mehr geben würde. Aber die Amtspflichten als Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt lässt sie dann endgültig hinter sich - um neue Freiheiten im Privatleben zu entdecken.
So ungefähr wird es sich der Gemeinderat vorgestellt haben, als er - unterstützt durch weitere ehrenamtlich Engagierte und begleitet von Bezirkskantor Ralf Sach - über die scheinbar grenzenlose Freiheit „Jenseits der Pflichten“ sang. „Eine Ära ist vorbei, 16 Jahr‘ im Licht der Rampe“, hieß es da. Tipps für die Zeit danach kann sich Angelika Matt-Heidecker bei ihrem Amtsvorgänger Peter Jakob holen, der sich gemeinsam mit ihr auf der Stadthallenbühne einem launigen Wettspiel gestellt hatte.
Zunächst galt es, Nägel in einen Holzklotz zu schlagen, wobei sich Angelika Matt-Heidecker nicht nur gegen Peter Jakob durchsetzte, sondern auch gegen Stadtrat und Zimmermann Andreas Banzhaf. Bei einem kurzen Quiz gab sie vorschnell selbst die Antwort auf die Frage, wie viele Sitzungen sie in 14 Jahren als Stadträtin und anschließend in 16 Jahren als Oberbürgermeisterin versäumt habe: „Keine einzige.“
Die Fragen stellte Marc Eisenmann, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Gemeinderat. Er attestierte seiner Vorvorgängerin in diesem Amt, dass sie „stets auf der Höhe der Zeit war und Nachhaltigkeit bereits eingefordert hat, als es noch kein Modelabel war“. Als wesentliche Ereignisse der vergangenen 16 Jahre hob er die erste S-Bahn-Fahrt nach Kirchheim im Jahr 2009 hervor sowie die Einführung der doppischen Haushaltsführung im Jahr 2013. „Wer sich über weitere Themen informieren will, darf gerne zu den Sitzungen des Gemeinderats kommen“, fügte er verschmitzt hinzu.
Ein weiterer Fraktionsvorsitzender war am Freitag überraschend in die Stadthalle gekommen: Andreas Stoch, Landesvorsitzender der SPD und Chef der Landtagsfraktion. Zur verfehlten Wiederwahl Anfang Dezember sagte er: „Wir müssen manchmal schlucken, wenn eine demokratische Entscheidung gefallen ist.“ Dennoch sollte jetzt ein Gefühl von Stolz bleiben - „auf 16 Jahre tolle Arbeit für Kirchheim“. Als ehemaliger Kultusminister lobte er vor allem die kommunale Bildungspolitik: „Kirchheim hat‘s verstanden, Bildung ist unsere Zukunft.“ Anschließend ehrte er Angelika Matt-Heidecker mit der höchsten Auszeichnung der SPD - mit der Willy-Brandt-Medaille.
Für die offizielle Verabschiedung war Stuttgarts Regierungspräsident Wolfgang Reimer zuständig. „Sie haben mit allen Abteilungen unseres Hauses sehr konstruktiv und sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Es ist Ihnen dabei auch gelungen, sehr viele Zuschussgelder zu mobilisieren“, schrieb er der Hauptperson des Abends ins Stammbuch, die damals die erste Oberbürgermeisterin im Regierungsbezirk war: „Sie haben sehr viel gestaltet und bewegt und den Charakter der Stadt sehr positiv weiterentwickelt.“. Der Haushalt, den sie hinterlässt, sei wohlgeordnet und nahezu schuldenfrei. Fazit: „Sie haben beste Startbedingungen für Ihren Nachfolger geschaffen.“
„Du warst kein Alphatier“
Für das städtische Personal, zu dem 850 Mitarbeiter zählen, aber auch ganz persönlich verabschiedeten sich die Bürgermeister. Er habe mehrere Alphatiere kennengelernt, meinte Günter Riemer: „Aber du warst kein Alphatier.“ Auch Stefan Wörner hob das offene Miteinander und die Begegnung auf Augenhöhe hervor.
Die Vielfalt der Aufgaben bildeten weitere Grußworte ab: Siegfried Hauff gab einen Abriss über die Geschichte der Lokalen Agenda in Kirchheim. Rambouillets Maire, Marc Robert, hatte sich schriftlich gemeldet und dabei die deutsch-französische Freundschaft beschworen. Musikalische Grüße kamen vom Symphonischen Orchester der Musikschule, durch Chansons, die Andrea Wahl in Begleitung von Rainer Frank vortrug, sowie durch die Posaunisten der Stadtkapelle.
Angelika Matt-Heidecker blieb vor Übergabe der Amtskette noch Zeit für ein Resümee des Abends: „Es war herauszuhören, dass in den vergangenen 16 Jahren nicht alles schlecht war für die Stadt.“ Viele Entscheidungen hätten Kraft gekostet, die Schließung von Hauptschulstandorten oder auch die Pflichtaufgabe der Unterbringung Geflüchteter. Nachdenklich fiel ihr persönlicher Rückblick auf 16 Jahre Amtszeit aus: „Viele Freundschaften sind entstanden, über politische Grenzen hinweg. Es sind aber auch Freundschaften zerbrochen, wegen unterschiedlicher politischer Ansichten.“
Letzteres war zumindest in der voll besetzten Stadthalle nicht zu spüren: Die Gäste erhoben sich von ihren Sitzen und spendeten Angelika Matt-Heidecker nach dreieinhalb Stunden Festakt einen lange anhaltenden Schlussapplaus.