Die Aufarbeitung eines Kirchheimer Bruderzwists, der in einem Messerstich eskalierte, findet derzeit vor der Schwurgerichtskammer am Stuttgarter Landgericht statt. Der jüngere Bruder soll versucht haben, den Älteren zu töten. Jetzt hat der Staatsanwalt wegen Totschlagversuchs sechs Jahre Haft beantragt.
Es ist später Abend am 27. August letzten Jahres, als der jetzt wegen versuchten Totschlags angeklagte 30-Jährige zum Haus seiner Familie in Kirchheim kam und dort übernachten wollte. Sein sechs Jahre älterer Bruder empfing ihn an der Haustür mit den Worten: „Du kommst hier nicht herein“. Die Stimmung eskalierte, es folgten Beschimpfungen, Vorwürfe – und es endete damit, dass der Jüngere dem Älteren mit einem Taschenmesser in die linke Bauchseite stach, dann wegging, aber zurückkehrte und zusätzlich noch das Glas der Haustür eintrat (wir berichteten).
Diesen Sachverhalt, der sich in der Anklageschrift der Stuttgarter Staatsanwaltschaft widerspiegelt, hat der 30-Jährige am gestrigen zweiten Verhandlungstag bestätigt und auch den Messerstich eingeräumt. Doch wo liegen die Hintergründe dieser Tat? Der Angeklagte sagt, er sei seit Jahren gedemütigt worden, auch vom älteren Bruder. Ob es daran lag, dass er drogen- und alkoholsüchtig ist? Es sei auch ein Streit „ums Geld“ gewesen, sagt er. Der Bruder habe ihn an der Haustür barsch beleidigt und ihm den Satz „Du kommst hier nicht herein“ entgegengeworfen. Er berichtet auch, dass er seit 2016 kein gutes Verhältnis zum Bruder und zur Mutter habe.
Das Geschehen an der Haustür bezeichnet der Angeklagte so: „Ich habe die Kontrolle verloren.“ Man habe sich gestritten, dann die Messerattacke, die er zugibt, und für die er sich schämt, und dann sei die Mutter erschienen. An diesem 27. August habe er schon tagsüber verschiedene Drogen konsumiert, dazu Alkohol getrunken. Allein die Drogensucht spielt in dem Verfahren zur Strafzumessung eine wichtige Rolle. Wie viel Drogen, wie viel Alkohol? Dazu hat das Gericht die Hilfe eines Sachverständigen geholt, der wegen der Alkoholabhängigkeit eine eingeschränkte Schuldfähigkeit feststellte.
Der geschädigte Bruder berichtet im Zeugenstand den Sachverhalt im Wesentlichen so, wie er angeklagt ist. Er bezeichnet seinen jüngeren Bruder aber als einen netten Mensch, der früher hilfsbereit war und auch mal im Garten geholfen habe. An der Haustür, so der Zeuge, habe er ihm den Einlass verwehrt. Der 30-Jährige hätte ihn dann beschimpft. „Und das, obwohl ich seine Schulden bezahlt hatte.“ Dann sei man sich einen Schritt näher gekommen. Und dann der Messerstich.
Keine Lebensgefahr
Die Gerichtsmedizinerin stellt in einem Gutachten fest, dass der Messerstich keine Lebensgefahr darstellte. Der Stich war einen Zentimeter lang und tief. Der 36-Jährige kam in eine Klinik-Notversorgung. Dort wurde die Wunde genäht, der Patient wieder nach Hause entlassen.
Für den Staatsanwalt liegt das Verbrechen des versuchten Totschlags und Körperverletzung vor, begangen im Zustand einer verminderten Schuld. Allerdings wiegen die sieben Vorstrafen im Bereich Körperverletzung, Bedrohung und Diebstahl so schwer, dass eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren nötig sei. Am kommenden Montag will die Stuttgarter Schwurgerichtskammer das Urteil verkünden.