Kirchheim
50 Jahre und 99 Luftballons

Diakonie Vor 50 Jahren wurde die Kontaktgruppe Kirchheim gegründet. Das war der Grund für ein fröhliches Fest und für eine Ehrung: Seit ebenfalls 50 Jahren setzt sich Gerda Claus für diese Gruppe ein. Von Peter Dietrich

Hinter so einer Feier zum 50-jährigen Bestehen der Kontaktgruppe Kirchheim steckt viel Vorbereitung. Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, gab einen kleinen Einblick hinter die Kulissen. „Wir machen was.“ „Und wir laden Sozialminister Manfred Lucha ein.“ „Der kommt doch nicht.“

Er kam doch, und sein Grußwort erwies sich als Heimspiel, in der Sozialpsychiatrie kennt er sich aus. Eindrücklich beschrieb er, was sich in der Sozialpsychiatrie in den letzten Jahrzehnten verbessert hat, aber auch, wo gekämpft werden musste, weil es mal wieder finanzielle Kürzungen gab. „Ohne gesellschaftliche Einmischung hätte es hinterher die verbesserten professionellen Strukturen gar nicht gegeben“, würdigte er den bürgerschaftlichen Einsatz. „Kontaktgruppen sorgten dafür, dass wir aus der Stigmatisierung herausgekommen sind.“ Zugleich stellte er klar: „Bürgerschaftliches Engagement ist kein Ersatz für die notwendige professionelle Tätigkeit.“ Bürgerschaftliches Engagement lasse sich auch nicht staatlich verordnen. Es gehe vielmehr um eine gesunde menschliche Haltung: „Behandle andere Menschen so, wie auch du in einer schwierigen Lage behandelt werden möchtest.“ Entscheidend seien Respekt und Akzeptanz.

Ein leuchtendes Vorbild dafür ist Gerda Claus. Die vollen 50 Jahre hat sie die Kontaktgruppe Kirchheim ehrenamtlich geleitet und gefördert. Dafür überreichte ihr Dekan Christian Tsalos die Brenz-Medaille, die der evangelische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl ihr verliehen hat. „Welch ein Segen, dass Sie sich zu dieser Arbeit aufgemacht haben und so viele Jahre treu dabeigeblieben sind.“

Treu dabeigeblieben sind auch die Besucher der Kontaktgruppe, als es um eine szenische Präsentation zum Thema „Erkrankungen“ ging. Drei Monate lang hat Dorothee Ostertag-Sigler, beim Sozialpsychiatrischen Dienst tätig und heutige hauptamtliche Leiterin der Kontaktgruppe, mit allen die von ihr entworfene Präsentation geübt, bis jeder seinen Texteinsatz perfekt beherrschte. Dazu gab es Musik von Thomas Meyer (Klavier) und Rolf-Rüdiger Most (Saxofon) und szenischen Tanz von Christiane Meyer. Eindrücklich zeigten alle zusammen, wie sich Menschen innerlich fühlen, die unter Psychosen, Paranoia, Depressionen, Manien oder Zwängen leiden.

Ebenso eindrücklich berichteten die Besucher der Kontaktgruppe, was die Gruppe für sie bedeutet. „Ich werde angenommen und akzeptiert.“ „Ich erfahre Sicherheit, Offenheit und Vertrauen, was gesprochen wird, bleibt in der Gruppe.“ „Ich traue mich endlich mal zu singen.“ „Ich kann herausfinden und zeigen, was ich kann.“ „Wir unterstützen gemeinsam ein Kinderheim in Afrika und können so auch etwas weitergeben.“ „Ich nehme wieder mehr am Leben teil und bin aus meinem Rückzug rausgekommen.“ Alle gemeinsam ließen zum passenden Nena-Popsong ihre – fast 99 – Luftballons steigen. Dass die Gruppe wiederholt betonte, wie gerne sie zusammen Eis isst, blieb nicht ohne Wirkung: Eberhard Haußmann gab ihr eine Runde Eis aus.

Heidi Holl, 75 Jahre alt, ließ die rund 100 Teilnehmer in der Chris­tuskirche an ihrem Werdegang teilhaben. Mehrmals war sie in psychosomatischen Kliniken, fühlte sich nur noch fremdbestimmt. Doch sie erfuhr Hilfe, Dorothee Ostertag-Sigler ließ bei ihr nicht locker. „Ich bin dankbar, dass es mir wieder so gut geht. Ich weiß nicht, was ich ohne Kontaktgruppe, das frühere Buschcafé und das ambulant betreute Wohnen machen würde. Da wäre ich sicherlich doch im Heim gelandet.“

Vor dem Zwiebelkuchen und dem Segenswort von Pfarrer Jochen Maier wurde gemeinsam gesungen, ein zur Kontaktgruppe und zum menschlichen Miteinander sehr passendes Lied von Manfred Siebald: „Gut, dass wir einander haben.“