Inklusion
95-Jährige plant Feier für ihren Sohn

Freya Widmaier-Jossé hat für ihren Sohn Thorwalt eine Feier zum 51. Geburtstag organisiert. Ihre Wahl ist dabei auf das Café Mittendrin im Kirchheimer Steingauquartier gefallen. 

Im Café Mittendrin wird gefeiert: Thorwalt Widmaier und seine Mutter Freya Widmaier-Jossé sitzen mittig hinter der Geburtstagstorte. Links daneben zwei Betreuer der Esslinger Diakonie. Die in gelb gekleideten Mitarbeiter des Cafés sind Sandra Janczura, Anja Ulbricht und Anita Erdmann (von links). Foto: Nick Häusler

Jetzt sind sie da!“, bemerkt Freya Widmaier-Jossé und springt dabei euphorisch von ihrem Stuhl auf. Freudestrahlend eilt sie ihrem Sohn Thorwalt Widmaier entgegen, der heute seinen 51. Geburtstag feiert. Und auch Freya hatte erst vor zwei Tagen Geburtstag: 95 Jahre alt ist die einstige Zirkusartistin geworden. Trotz des hohen Alters ist sie noch immer gut beschäftigt: „Ich bin keinesfalls im Ruhestand!“, sagt Widmaier. Sieben dicke Leitz-Ordner habe sie zu Hause, die alle gefüllt sind mit Dokumenten ihres Sohnes, der Trisomie-21 hat. Sozialversicherungen, ständig neue Gesetze und vieles mehr halten sie gut auf Trab. Eines ist für die dreifache Mutter dabei klar: Die fehlenden fünf Jahre schafft sie auch noch. „Ich möchte so lang es geht für meinen Sohn da sein“, sagt sie. Auch ihr Vater habe das dreistellige Alter geknackt, er wurde 102. 

In guter Gemeinschaft

Bis Thorwalt 27 Jahre alt war, hat er zusammen mit seinen Eltern auf dem Kirchheimer Würstlesberg gewohnt. Inzwischen lebt er in einer Diakonie-Einrichtung in Esslingen. Rund ein dutzend Freunde und Bekannte aus der Wohngemeinschaft sind für seinen Geburtstag mit nach Kirchheim gekommen. Gefeiert wird im Café Mittendrin im Steingauquartier – und das nicht ohne Grund, wie die Jubilarin erzählt: „Ich dachte, dieser Ort passt wunderbar, hier arbeiten ja schließlich auch einige Menschen mit Behinderung.“ 

Früher habe ich in einer Metallwerkstatt gearbeitet – hier im Café gefällt es mir aber deutlich besser.

Sandra Janczura, Mitarbeiterin im Café

 

Das Café ist als Teil der Werkstätten Esslingen/Kirchheim (WEK) Arbeitgeber von knapp zehn Personen mit Einschränkung. Unter dem Motto „Inklusion ist unsere Vision“ möchte die WEK zu einem Leben mit mehr Selbstbestimmung beitragen. „Unsere Mitarbeiter mit Handicap haben hier einen Job, der ihnen Spaß macht und Aufgaben, die sie erfüllen können“, sagt Teamleiterin Anja Ulbricht. „Wir machen innerhalb der Mitarbeiterschaft keine Unterschiede“, ergänzt sie. Mit zum aktuell 17-köpfigen Team gehört auch die Kirchheimerin Sandra Janczura, die seit ihrer Geburt an den Rollstuhl gebunden ist. „Früher habe ich in einer Metallwerkstatt gearbeitet – hier im Café gefällt es mir aber deutlich besser. Ich schätze den Kontakt zu unseren Gästen sehr“, erklärt sie. Ganz ähnlich geht es Anita Erdmann: Sie ist seit der Eröffnung des Cafés vor vier Jahren mit im Team. „Wir haben hier ein tolles Miteinander – in der Werkstatt war es oft chaotisch“, sagt sie.

Auch wenn das Café keineswegs chaotisch ist, muss man hier etwas mehr Geduld mitbringen, als in herkömmlichen Cafés. „Unsere Gäste wissen größtenteils, worauf sie sich einlassen und kommen extra hierher, um die Arbeit zu unterstützen“, sagt Anja Ulbricht. Nicht selten ist das Café zudem ein Treffpunkt für Menschen in ähnlichen Lebenslagen. „Wenn auch unsere Gäste ein Handicap haben, kann ich als Rollstuhlfahrerin gut einschätzen, wie man mit ihnen umgehen und sprechen muss“, sagt Janczura.

Erst seit kurzem hat das Café auch sonntags geöffnet. Die allermeisten Arbeitnehmer wären über diese Veränderung vermutlich gar nicht begeistert, doch im Café Mittendrin ist das anders: Hier kommen die Mitarbeiter gerne zur Arbeit, sogar am Sonntag.