Entschuldigung, dass ich die Singstunde störe“ - mit diesen Worten platzt ein älterer Herr in die Gruppe, die sich gerade mit Atemübungen auf den ersten Auftritt des Jubiläumskonzerts zum 150-jährigen Bestehen des „Gesangvereins Eintracht Kirchheim“ vorbereitet.
Seit 1994 macht der gemischte Chor mit dem neumodischen Namen „Happy Voices“ auf sich aufmerksam. Dank der gezielten Öffentlichkeitsarbeit unter der Regie von Monika Renz wuchs die Gesangsgruppe innerhalb von fünf Jahren auf nahezu 40 aktive Sänger an. Es scheint, als würden sich die stirnrunzelnden Gesichter fragen, was der alte Mann denn möchte. Doch dann beginnt er - Elmar Müller - langsam zu erzählen.
Die Jahreszahlen purzeln vor sich hin. Genauso wie die einzelnen Ereignisse. Er berichtet von der Revolution 1848, dem Rechtsstaat, der Unruhe in den Städten und vom Ruf auf dem Stuttgarter Schlossplatz nach Demokratie und Einheit. „Jetzt, liebe Kameraden, stürmen wir das königliche Schloss. Aber dass mir ja keiner den Rasen zertrampelt.“ Der ehemalige Politiker erwähnt den Freiheitskämpfer Friedrich Tritschler, der 1868 die Reste der Stadtmauer abgetragen hatte und damit rund 5 800 Kirchheimern plötzlich Luft von allen Seiten bescherte. Er berichtet von der Eisenbahn, die zum Glück aller Unternehmer drei Jahre davor Einzug hielt, von der Zeit der Zensur, wo hinter verschlossenen Türen männerbestimmt politisiert wurde. Auch die Nazis, die den Eintritt in die Eintracht verboten und von Fritz Matt, dem Großvater der jetzigen Oberbürgermeisterin, der als erster Vorsitzender 133 Mitglieder vereinigte, thematisierte Müller in seiner Rede.
Schlussendlich kommt er zu dem ganz speziellen Ereignis, wie es vor 150 Jahren mit der Eintracht begann. Der Auslöser war die Hochzeit eines Arbeiters der Faberschen Fabrik im Gasthaus „Zum Rößle“ am 2. August 1868. Mit 35 Kollegen und Familienmitgliedern wurde bis zum späten Abend gesungen - so entstand einst die Idee zur Gründung eines Gesangvereins.
Bestens aufgeklärt, nimmt das Jubiläum jetzt auch musikalisch im Rahmen einer Reise um die Welt mit dem Titel „Alles nur geklaut“ Fahrt auf. „Vor 150 Jahren, fing‘s mit der Eintracht an, seit 150 Jahren hat man Spaß am Gesang“, verleihen die „Happy Voices“ dem Gassenhauer von Udo Jürgens einen neuen Text. Plötzlich platzt ein Brautpaar herein, das vom passenden Liedgut „Trionfi Amore“ aus der Oper „Orfeo ed Euridice“ und „Je Veux“ begleitet wird. Egal ob mitreißender Glenn-Miller-Swing, das beschauliche „Gi-Ga-Gondele“ von den Fischer-Chören oder die abgeänderte „Fahnen“-Version von Udo Jürgens‘ Hit „Aber bitte mit Sahne“ - sämtlichen Arrangements verpasst Chorleiter Robert Kast ein neues Gewand. Aus „Come On Eileen“ wurde beispielsweise „Auf nach Berlin“. Weitere Stationen bei der Suche nach der verschwundenen Fahne waren „Streets of New York“, „Birdland“ sowie „Kirchheim“. Bei letzterer Stadt ließen sogar die „Blues Brothers“ grüßen.
Zwischen den einzelnen Titeln geizte der Chor keineswegs mit kleinen Choreografien, kühnen Kostümen sowie kecker Mimik und Gestik. Gleichfalls gekonnt intoniert und perfekt von der sechsköpfigen Musikband umrahmt, waren die weiteren Lied-Hinweise bei der Spurensuche, bei der auch die Zuschauer mitmachen konnten. Die Zuhörer erlebten ein besonderes Konzert der Happy Voices mit viel Liebe zum Detail.