Kirchheim
Absage an Reformen: „Nicht nur irritiert, sondern entsetzt“

Kirche Mit einem Zeitungsinterview hat Bischof Gebhard Fürst im Dekanat Esslingen-Nürtingen für Aufruhr gesorgt. Dort reagiert man mit einem Protestbrief und hofft weiter auf Reformen.  Von Thomas Zapp 

Diese „Werbung“ hat der katholischen Kirche im Landkreis Esslingen gerade noch gefehlt: Bischof Gebhard Fürst betonte in einem Zeitungsinterview, dass er den Zölibat weiter hochhalten werde und es Priesterinnen auch künftig nicht geben werde. An der Basis im Dekanat Esslingen-Nürtingen raufte man sich die Haare und verfasste einen offenen Brief an den Bischof. Die Hauptkritikpunkte: Die fehlende Offenheit der Kirchenleitung, wenn es um bessere Zugangsmöglichkeiten zum Priesteramt geht, die unzureichende Gleichberechtigung von Mann und Frau und die zögerliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. „Das Stichwort hat der Bischof ohne Not geliefert“, sagt der Kirchheimer Diakon Rainer Wagner, der zu den Unterstützern des Briefs gehört. „Viele Leute waren sehr irritiert von diesem Artikel“, ergänzt Emanuel Gebauer, Leiter der katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis. „Entsetzt, nicht irritiert“, fügt Martina Jäger, Gemeindereferentin für Neckar-Aich, hinzu.
 

„Was ich bei langjährigen Mitgliedern erlebe, ist Zorn.
Emanuel Gebauer

 

Sie werde von ihren Töchtern gefragt, ob sie wisse, was in der Kirche eigentlich los ist. Dekanatsreferentin Simone Jäger sieht es ähnlich: „Für die Generation unserer Kinder bräuchte es ganz andere Symbole“, sagt sie. Die Reformunwilligkeit der Kirchenoberen trifft auf eine langjährige Entwicklung: Jugendliche wenden sich zunehmend von der Kirche ab.

Die zugespitzte Antwort des Bischofs steht in krassem Widerspruch zu den Ergebnissen der dritten Versammlung der katholischen Reformbewegung „Der Synodale Weg“ Anfang Februar. Darin ging es Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, gemeinsame Teilhabe am Sendungsauftrag, Einbeziehung der Gläubigen in die Bestellung des Diözesanbischofs, das priesterliche Versprechen der Ehelosigkeit und Frauen im sakramentalen Amt. „Das gab einen Hoffnungsschimmer“, sagt Rainer Wagner. Die Themen, um die ernsthaft an der Basis der Kirche gerungen wird, hat der Bischof nun mit dem Interview weggewischt. „Das nimmt einem Energie und viel Kraft“, sagt Martina Jäger. 

„Die Gemeinden sind in Aufruhr“, stellt der Plochinger Pfarrer Bernhard Ascher fest. Er muss ihnen gegenüber immer wieder betonen, dass der Bischof mit seiner Meinung nicht die Mehrheit der Diözese vertritt. „Seit 30 Jahren kämpfen wir mit den gleichen Themen“, sagt er. Dekan Paul Magino hat die Hoffnung aber nicht aufgegeben. „Die Zölibatsfrage ist offen“, betont er. Das Priesteramt an sich stehe aber nicht zur Debatte, dabei beziehe sich der Bischof auf eine Feststellung von Papst Johannes Paul II. Er setze sich aber für ein Diakonat der Frau ein, betont der Dekan. Das reicht Simone Jäger nicht. „Der Bischof argumentiert rückblickend. Aber was heißt das für die Zukunft? So ist es schwer, Dinge zu gestalten.“ Die Frage sei auch, ob diese Fragen die Weltkirche entscheiden soll oder lieber die Kirche vor Ort.

 

„Wenn unsere Kirche so weitermacht, dürfen Sie sie sicherlich auch bald so schön beerdigen.
Ein 80-jähriger Teilnehmer einer Beerdigung in Kirchheim zu Diakon Rainer Wagner
 

Es wird heftig gerüttelt an den Machtstrukturen der katholischen Kirche. Emanuel Gebauer attestiert Bischof Gebhard Fürst sogar „Machtvergessenheit“, wenn dieser sich so in dem Interview äußere. „Er weiß nicht, was das macht mit den Leuten.“ Diakone, Pfarrer und Dekanatsmitarbeiter spüren gleichzeitig viel Gesprächsbedarf bei den Leuten. „Nun bedarf es klarer Signale“, sagt Rainer Wagner. Die Diskussion um das weibliche Priesteramt mit Verweis auf ein mögliches Diakonat für Frauen abzutun, sei „schwach“. So gewinne man junge Leute nicht zurück. Und so stoppt man auch nicht die Kirchenaustritte: Die lagen im vergangenen Jahr bei 1299 im Dekanat Esslingen, gegenüber elf Eintritten und 25 Wiederaufnahmen. „Was wir mitkriegen, ist erschreckend“, räumt Dekan Magino ein. Denn es seien keineswegs Menschen, die sich ohnehin von der Kirche nicht vertreten fühlten. „Das sind Leute, die zur Mitte der Gemeinde gehören.“ Der Bischof hat auf den Brief bislang noch nicht reagiert. Allerdings habe man damit auch noch nicht gerechnet, erklärt Simone Jäger. Die Diskussionen gehen unterdessen weiter: Am 30. März kommt der Generalsekretär des Zentralkomitees der Katholiken in das Esslinger Dekanat: Es geht um die Vorbereitung des Katholikentags vom 25. bis 29. Mai in Stuttgart.