Auf dem Kirchheimer Postplatz geht es an diesem Samstagabend ungewohnt geschäftig zu. Zielstrebig steuern Fußgänger das Tyroler an und erklimmen die steile Treppe zum Kinosaal im ersten Stock. Der Duft von frisch gemachtem Popcorn verspricht noch einmal Kinoerlebnis mit allen
Sinnen.
Etliche Besucher haben schon vor über 50 Jahren ihr Taschengeld zusammengekratzt, um „Den Schatz im Silbersee“, „Vier Fäuste für ein Halleluja“ oder auch „Mutter Courage“ anzuschauen. Eine Besucherin erzählt, ihr Bruder wollte unbedingt, dass sie „Die Reifeprüfung“ mit Dustin Hofmann sieht und habe ihr sogar die Eintrittskarte bezahlt.
Mit insgesamt fünf Filmen nimmt die Kinofamilie Frech Abschied vom Tyroler Kino. Die beiden letzten Filme sind so gut wie ausverkauft. Auch wenn auf der Leinwand aktuelle Filme laufen, ist es ein Tag der Erinnerungen und Anekdoten. Und der wohnzimmerähnliche Kinosaal mit seiner dunklen Holzvertäfelung, der praktischen Holzkonsole für Getränke und den 56 sofaweichen Sitzen lädt dazu ein, gemütlich in der Vergangenheit zu schwelgen.
Thomas Meyer-Weithofer und Heinrich Brinker vom jüngst gegründeten Verein Kommunales Kino Kirchheim loben Ulrike und Eberhard Frech: „Seit wir uns damit beschäftigen, ist uns erst klar geworden, wie viel Arbeit das ist“, betonen sie und rühmen die vielen Jahre guten Kinos und dass die beiden Frechs ihr Wissen und ihre Erfahrung künftig auch mit dem Verein teilen wollen. Eberhard Frech bedankt sich bei seinem Publikum und den beiden langjährigen Mitarbeitern und seufzt: „Wir hätten gerne weitergemacht!“ Für Wehmut haben er und seine Frau aber nicht viel Zeit, schließlich müssen sie noch das Haus ausräumen, in dem sich Gegenstände aus über 70 Jahren angesammelt haben.
Später erzählt er, wie er als Kind im dunklen Kinosaal Fangen und Verstecken gespielt hat. Oder wie ein Vorführer einmal die Filmrolle nicht richtig auf den Teller gelegt hat und fast dreieinhalb Kilometer Film als verwursteltes Knäuel auf dem Boden gelandet sind. „Die ganze Nacht haben wir in Schichten den Film wieder auf die Spule gepackt“, berichtet er. Von den Filmrollen gab es immer nur eine bestimmte Anzahl Kopien. Bis ein beliebter Film dann in den kleineren Kinos gelandet ist, hatte er oft schon den einen oder anderen Kratzer. Überhaupt die Filmrollen: Auf eine Rolle passen 20 Minuten Film. Je nach Filmlänge waren das fünf bis sieben Rollen. Die mussten die Vorführer umspulen und dabei in der richtigen Reihenfolge zusammenkleben. Ein Vorführer entdeckte einmal etliche strahlend weiße Bilder auf dem Film. Weil er sie für fehlerhaft hielt, schnitt er sie kurzerhand heraus und warf sie in den Mülleimer. Später stellte sich heraus, da manche Kinobesucher den James-Bond-Film schon gesehen hatten, dass sie den Blitz vermissten – das nämlich waren die weißen Bilder. Also flugs den Mülleimer umgedreht und den Blitz wieder an die richtige Stelle geklebt.
Als der letzte Film vorbei ist, bleibt die Tür erst einmal zu. Fast hat man den Eindruck, die Leute können sich noch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass es das jetzt gewesen sein soll. Sie bedanken sich nochmals persönlich bei Ulrike und Eberhard Frech. Etwas Wehmut ist dabei und die Hoffnung, dass das Kino nicht tot ist, sondern es irgendwie als Verein weitergeht. So lautet dann auch die Parole: „Kirchheim ohne Kino – geht nicht!“