Natur
Am Abend fallen die Krähen ein

Sind Krähen auf dem Vormarsch? In manchen Teilen von Kirchheim werden die Rabenvögel zunehmend zum Problem.

Krähen sind meist nicht zu übersehen und zu überhören. Foto: Karin Ait-Atmane

Sie sind viele, sie sind laut und sie hinterlassen Spuren: Krähen scheinen in manchen Stadtteilen von Kirchheim überhandzunehmen. Auch die Polizei kennt das Problem – das Revier in der Dettinger Straße liegt sozusagen in seinem Zentrum.

Revierleiter Jürgen Ringhofer und seine Kollegen fühlen sich geradezu belagert von den schwarzen Vögeln. „Die bombardieren einen richtig mit Vogelkot“, sagt er – weshalb die Kollegen manchmal mit dem Regenschirm zum Auto gingen, auch wenn es gar nicht regnet. Wenn man aus- oder einsteige, flögen oft um die 200 Krähen auf. Die Fahrzeuge samt der Türgriffe seien von Kot übersät, ebenso der Boden und die Fenster. Das sei nicht nur unappetitlich, sondern ein Hygienethema, betont der Revierleiter. Denn Vogelkot kann Krankheitserreger enthalten und wird, wenn er getrocknet ist, als feiner Staub mit der Luft eingeatmet.

Tagsüber halten sich die Vögel auf Äckern und Feldern im Umland auf, abends kommen sie in die Stadt. Das betrifft nicht nur das Polizeirevier, sondern auch angrenzende Gebiete. Eine Anwohnerin aus der benachbarten Freiwaldau hat unserer Redaktion geschrieben, sie fühle sich wie in Hitchcocks Thriller „Die Vögel“, wenn in der Dämmerung Tausende von Krähen im Wohngebiet unterwegs seien. Zudem würden andere Vögel und Tiere verdrängt, für sie bleibe keine Nahrung übrig.

Hat die Zahl der Krähen tatsächlich zugenommen? Die Kirchheimer Nabu-Gruppe will dazu mangels Bestandszahlen nichts sagen. Beim zentralen Nabu-Naturtelefon in Berlin geht man davon aus, dass der Bestand bundesweit stabil ist. Vor allem im Herbst, wenn Krähen sich zu Schwärmen zusammenfinden, entstehe der Eindruck, dass sie immer mehr würden. Allerdings entwickle sich die Saatkrähe „regional sehr, sehr unterschiedlich“, bestätigt Pressesprecher Helge May, und als Allesfresser sei dieser Vogel auch „vergleichsweise erfolgreich“. Baden-Württemberg könnte also durchaus eine Krähen-Hochburg sein. Die Zahlen des Landesumweltamts LUBW deuten in diese Richtung: Auf der Roten Liste Brutvögel ist eine starke Zunahme von Saatkrähen in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten vermerkt. Und der Landesbauernverband bekommt immer wieder erhebliche Schäden an Ackerkulturen gemeldet. Berichten zufolge picken Krähen nicht nur das Saatgut, sondern auch Jungpflanzen aus der Erde; im Einzelfall komme es auch mal zum Totalschaden an einem Feld.

Solche Geschichten hat auch Kreisjägermeister German Kälberer schon gehört. „Die richten schon merkliche Schäden an“, sagt er, man müsse den Bestand auf jeden Fall im Blick behalten. Doch die Sache ist kniffelig: Die Saatkrähe ist streng geschützt. Die Rabenkrähe, die ihr zum Verwechseln ähnlich ist, und die Nebelkrähe dürfen bejagt werden. Für Laien sind die Arten kaum zu unterscheiden, und auch ein Jäger, dem sein Jagdschein lieb ist, wird im Zweifelsfall lieber nicht schießen. Zudem sind Krähen ausgesprochen intelligente Tiere, die schnell lernen, die Gefahr zu erkennen. „Die kennen Sie und Ihr Auto“, sagt Kälberer.

Auf dem Areal des Polizeireviers, das dem Land Baden-Württemberg gehört, wurden in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen. Doch Glitzerstreifen hätten ebenso wenig geholfen wie die akustische Vergrämung mit Vogelschreien, berichtet Revierleiter Ringhofer. Jetzt greift das Land zu härteren Mitteln. Christian Schwenk, Stadtjäger in Kirchheim, soll die Vögel vergrämen, sprich: Er soll sie vertreiben und es ihnen so ungemütlich machen, dass sie weiterziehen. Das tut er mit sogenannten Handböllern, er schießt aber auch einzelne Rabenkrähen. In erster Linie gehe es um den Knall, sagt er, aber „ab und zu mal muss es wehtun, damit ein Lerneffekt eintritt“. Die Polizei hat den Eindruck, dass diese Maßnahmen einen ersten Effekt zeigen. „Wir sind frohen Mutes“, sagt Ringhofer.

Allerdings verlagert man das Problem damit letztlich nur. Bei der Polizei selbst hat sich die Situation möglicherweise dadurch verschärft, dass das Nachbargrundstück bebaut wurde und dafür einige Bäume weichen mussten.

 

Die Rabenvögel

Die Familie der Rabenvögel umfasst rund 125 Arten weltweit. In Deutschland kommen unter anderem Kolkraben, Rabenkrähen, Saatkrähen, Nebelkrähen, Dohlen, Elstern, Eichelhäher und Tannenhäher vor.

Die von Krähen verursachten Schäden in der Landwirtschaft haben laut dem Landwirtschaftsamt in den vergangenen Jahren sukzessive zugenommen, seien aber in der Regel lokal begrenzt. Sie beträfen häufig frisch eingesäte Maisfelder, aber auch Gemüse, Erdbeeren und Silageballen. Im Einzelfall kämen durchaus auch Totalausfälle einer Kultur vor. Von einer Allgemeinverfügung, die das Vergrämen auch der Saatkrähe erlaubt, sieht der Landkreis Esslingen bislang ab. Man sei mit den hiesigen Landwirten im Gespräch, außerdem werde ein Leitfaden für betroffene Landwirte erarbeitet.    aia