Am Montag, 1. Februar, ist der 75. Todestag des Dichters Hans Bethge. Der Ruhm, den er zu Lebzeiten noch genoss, ist längst verblasst. Schon gegen Ende seines Lebens war vom einstigen Glanz kaum mehr etwas übrig: Die letzten beiden Jahre vor seinem Tod hat Bethge, gebürtig aus Dessau, in eher bescheidenen Verhältnissen in Kirchheim zugebracht.
Bethge, Jahrgang 1876, gehört in eine Reihe großer Namen: Rainer Maria Rilke kam 1875 zur Welt, Hermann Hesse 1877. Den Vergleich musste Bethge keinesfalls scheuen. Bernd Löffler, der vor 33 Jahren in Band 7 der Schriftenreihe des Stadtarchivs über Bethges Kirchheimer Zeit geschrieben hat, zitiert aus einer Zeitungskritik. Über Bethges ersten Gedichtband - „Die stillen Inseln“, erschienen 1898 - hieß es da: „Niemand der ,Neuen‘ erreicht Hans Bethge in der Eigenart der Stimmung, in dem süßen Duft, der über seinen Gedanken liegt.“ Mit den „Neuen“ seien außer Bethge eben Rilke und Hesse gemeint, schreibt Bernd Löffler, weil diese drei damals „zu den jüngsten Talenten der deutschen Literatur zählten“.
In schöner Regelmäßigkeit veröffentlichte Hans Bethge zahlreiche weitere Bücher: Gedichte, Novellen, Essays, Reistagebücher, Anekdoten, Dramen. Am bekanntesten sind die Nachdichtungen orientalischer bis fernöstlicher Werke - auch wenn Bethge dabei nicht auf die Originale zurückgreifen konnte. Häufig waren seine Vorlagen gleich mehrfach übersetzt worden, erst ins Französische, danach ins Deutsche.
„Die chinesische Flöte“
Bethges bekanntestes Werk ist die Gedichtsammlung „Die chinesische Flöte“, die 1907 erschienen ist. Aber statt in die Literaturgeschichte ist dieses Werk in die Musikgeschichte eingegangen: Schon im Erscheinungsjahr 1907 hat Gustav Mahler mit der Vertonung von sieben Gedichten aus der „chinesischen Flöte“ begonnen. Bekannt ist diese symphonische Komposition in sechs Sätzen unter dem Namen „Das Lied von der Erde“. Anzumerken wäre noch, dass Gustav Mahler seinerseits in die Texte Bethges eingegriffen und sie seinen Bedürfnissen angepasst hat.
Hans Bethge wurde viel gelesen, nicht nur von Gustav Mahler. Die Auflagen seiner Bücher erreichten häufig die Hunderttausend. Dadurch wurde er finanziell unabhängig. Er konnte sich ausgedehnte Reisen ebenso leisten wie eine beträchtliche Kunstsammlung und eine geräumige Wohnung in Berlin-Wilmersdorf. Seit 1912 lebte er dort - wenn er sich nicht gerade auf Reisen befand.
Einen besonderen Leser „fand“ Hans Bethge 1919 am Bodensee, wie Bernd Löffler schreibt: „den fünfzehn Jahre jüngeren Kirchheimer Kaufmann Ernst Geiser“. Der nämlich „saß auf einer Parkbank am See in ein kleines Büchlein vertieft. Da trat ein vornehm gekleideter Herr mittleren Alters auf ihn zu und wollte wissen, ob ihm das Büchlein gefalle. Geiser bejahte dies, und der vornehme Herr stellte sich ihm als Verfasser desselben vor, Hans Bethge.“
Aus dieser Begegnung entstand eine lebenslange Freundschaft. Die Schwäbische Alb hatte es dem Dichter und Reiseschriftsteller aus dem fernen Berlin angetan. So schreibt er unter anderem: „Erfrischender säuerlicher Apfelwein, hier ,Most‘ geheißen, lockt in kleinen, altertümlichen Dorfgasthäusern.“ Doch die Idylle schlug ins Gegenteil um. Am 6. März 1943 schrieb Hans Bethge an Ernst Geiser nach einem Bombenangriff: „Danken Sie dem Schicksal, daß sie in Kirchheim wohnen!“ Damals bereitete er seine Umsiedlung nach Kirchheim vor. Am 27. August 1943 gelangte er hier an.
In Kirchheim lebte Hans Bethge nicht im Haus Ernst Geisers in der Max-Eyth-Straße, wo auch Geisers großes Kaufhaus untergebracht war. Bethge lebte stattdessen bei Familie Lorenzi in der Paradiesstraße 16. Verglichen mit Wilmersdorf war es dort eng, im Winter auch kalt. Die Gesundheit des Dichters verschlechterte sich zusehends. Bernd Löffler: „Ab Ende Januar 1945 humpelte er am Stock. […] Bald fesselten ihn Gelenkrheumatismus und der allgemeine Schwächezustand ans Bett.“
Ein Grab auf dem Alten Friedhof
Hans Bethge war seit Herbst 1945 in Göppingen im Krankenhaus. Dort starb er am 1. Februar 1946 - „an den Folgen einer Knochen-Tuberkulose und an völliger Entkräftung“. Am 9. Januar war er gerade 70 Jahre alt geworden. Ernst Geiser organisierte die Beerdigung.
Das städtische Ehrengrab auf dem Alten Friedhof sollte die Erinnerung an Hans Bethge zumindest lebendig halten, wenn sich auch Bernd Löfflers Wunsch von 1988 bis heute nicht erfüllt hat: „Nachdem das Grab in einem von Marbach herausgegebenen literarischen Führer durch Baden-Württemberg erwähnt wird, wäre es sinnvoll, den Besuchern Kirchheims durch ein kleines Hinweisschild die Suche nach Bethges Grab zu erleichtern.“
Der Dichter Bethge ist ein Pfund, mit dem Kirchheim wuchern sollte. Mit Hermann Hesse wirbt Kirchheim sehr viel mehr. Dabei hat Hesse nur wenige Jugend-Tage in Kirchheim verbracht. Als er Ende 1946 den Literatur-Nobelpreis erhielt, lag Hans Bethge längst in Kirchheim begraben.