Schaufenster war gestern, Bildschirm ist heute; kiloschwere Einkaufswägen werden zum federleichten, virtuellen Einkaufskorb. Der Onlinehandel hat Shopping revolutioniert. Mehr als 27 Millionen Onlinestores kursieren aktuell in den Tiefen des World Wide Webs, doch einem kann keiner das Wasser reichen: Der E-Commerce-Gigant Amazon ist seit vielen Jahren unangefochtener Spitzenreiter des Internethandels.
Was vor rund 30 Jahren in einer Garage in Seattle begann, zählt heute zu den größten und profitabelsten Großkonzernen der Welt. Ursprünglich hatte sich die Firma auf den Buchhandel spezialisiert, mittlerweile verkauft Amazon vom Couchtisch bis zum Hamsterkäfig alles, was das Konsumentenherz begehrt. Das Unternehmen hat sich jedoch nicht gänzlich von seinen Wurzeln getrennt: Rund 300 Millionen gedruckte Bücher wandern jährlich über Amazons virtuelle Ladentheke. Ein Mausklick hier, ein Mausklick da und nur wenig später trifft das Buch auch schon an der heimischen Türschwelle ein. An den stationären Buchhandlungen ist das nicht ganz spurlos vorbeigegangen.
Pandemie boostet den Onlinehandel
Der Buchmarkt ist im Wandel und das nicht erst seit gestern. Zu Printbüchern kommen E-Books und Audiobücher; der Konkurrenzdruck durch andere Medienformen steigt. So lesen insgesamt weniger Menschen, gleichermaßen kommen weniger Titel auf den Markt. Das heißt aber nicht, dass auch weniger Bücher verkauft werden. Der Umsatz sei sogar gestiegen, berichtet der Börsenverein des deutschen Buchhandels. Die Spezies der Leseratte ist also nicht ausgestorben.
Besonders deutlich zeigte sich das im Zuge der Pandemie: Während die quarantänebedingte Langeweile bei vielen Menschen die Leseliebe wiederaufblühen ließ, mussten die Buchläden geschlossen bleiben. Entsprechend boomte der Onlinehandel und konnte auch nach der Pandemie langfristig profitieren. Amazon durfte sich jedoch nicht zu früh freuen: Ein großer Teil der Käuferschaft strömte nicht zu dem E-Commerce-Riesen, sondern zu den Onlinestores der einzelnen Buchhändler.
Dass sich Menschen bewusst dagegen entscheiden, den großen Firmen die Taschen zu füllen, ist laut Karen Schad, Inhaberin des „LeseLaden“ in Kirchheim, nicht unüblich. „Ich höre oft von Leuten, die im Internet recherchieren aber bei uns kaufen“, erzählt die Buchhändlerin. „Ihnen ist es sehr wichtig, den regionalen Buchhandel zu unterstützen.“
In mancherlei Hinsicht können die Buchläden natürlich nicht mithalten, erzählt Simone Blankenhorn, die seit zwei Jahren im „LeseLaden“ arbeitet. Amazons virtuelles Bücherregal umfasst Millionen von Titeln in mehr als 15 verschiedenen Sprachen – für eine kleine Buchhandlung ein Ding der Unmöglichkeit. „Wenn wir gewisse Titel dann nicht haben, fühlen wir uns schon fast schuldig“, so Blankenhorn. „Man merkt, dass sich die Erwartungshaltung bei manchen Kunden geändert hat.“
Buchhandlungen sind weiterhin gefragt
Das übersichtliche Sortiment der kleineren Läden ist jedoch nicht für alle Kunden ein Minuspunkt. Karen Schad berichtet, dass viele ihrer Kunden es schätzen würden, nicht von der riesigen Auswahl auf Amazon erschlagen zu werden.
In Deutschland haben Buchhändler zudem einen weiteren Vorteil: die Preisbindung. Anders als bei den meisten anderen Produkten darf Amazon die Bücher nicht günstiger verkaufen. „Wobei das viele gar nicht wissen“, setzt Karen Schad hinzu. Auch bei der Lieferzeit würden die kleinen Buchläden locker mithalten können, meint Yvonne Peter, die in Weilheim seit mittlerweile 35 Jahren die Buchhandlung „Das Buch“ betreibt. Tatsächlich seien die Buchläden oft sogar schneller als ihr Konkurrent Amazon.
Dass ein großer Teil der kleinen Geschäfte ebenso Onlinepräsenz zeigt wie die großen Ketten, ist eine Besonderheit und Stärke des Buchhandels. Laut Karen Schad und Yvonne Peter ist es jedoch eher untypisch, dass sich die Kunden ihre Bestellung tatsächlich vor die Haustür liefern lassen. Stattdessen stöbern die Kunden im Webshop, kommen zur Abholung aber persönlich vorbei.
„Im Internet fehlt die soziale Begegnung“, sagt Karen Schad. „Die Kunden kommen für die Atmosphäre. Man fasst die Bücher gerne an und blättert sie durch.“ Gerade viele Ältere würden oft in den Laden kommen, ein Schwätzchen halten und einen Kaffee trinken. Auch Yvonne Peter betont die Vorzüge der traditionellen Buchhandlungen: Die Kunden, erklärt sie, können sich durch das Angebot und die persönliche Beratung vor Ort inspirieren lassen. Ungewollte Werbung, Datenerfassung und vermeidbaren Verpackungsmüll gibt es in ihrem Buchladen nicht.
„Es gibt eine gewisse Kundschaft, die immer bei Amazon bestellen wird, weil sie es nicht anders kennt“, bedauert Karen Schad. Buchhandlungen seien jedoch mehr als nur Bücher. „Sie sind ein Ort der Begegnung“, so Yvonne Peter. Amazon kann das nicht.

