Die Römersteinstraße liegt in einem ruhigen Wohngebiet, das im Norden vom Rauner-Campus begrenzt wird. Nicht weit entfernt kann man die Umgehungsstraße rauschen hören. Ein Grundstück, die Römersteinstraße 14, ist momentan eine Brache. Hier stand früher ein Zweifamilienhaus, umgeben von einem großen Garten. Im nächsten Jahr soll dort ein Mehrfamilienhaus für acht Parteien gebaut werden. Der Verkauf hat bereits begonnen.
Gegen den Bau des Mehrfamilienhauses gibt es Widerstand, der mittlerweile auch den Gemeinderat erreicht hat. Der direkte Nachbar, Dr. Niels Böhling, und weitere neun Eigentümer bitten um „Unterstützung bei der Verhinderung dieser überdimensionierten Bebauung“, wie es in einem offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden heißt. „Dieser Neubau würde sich nicht in die bestehende Bebauung einfügen. Das wäre überzogene Nachverdichtung, schädlich für Stadt-/Mikro-Klima, Biodiversität, Grundwasser, Abfluss/Entwässerung, Verkehr und soziales Wohnumfeld“, schreiben Böhling und die anderen Nachbarn. Sie befürchten durch den Bau des „Neubau-Klotzes“, wie das Mehrfamilienhaus in dem Brief genannt wird, unter anderem eine Einschränkung ihrer Privatsphäre und die Verschärfung der ohnehin angespannten Parksituation.

Die Chancen, das Bauvorhaben zu verhindern, stehen nicht besonders gut, denn die Stadt Kirchheim hat im August 2024 die Genehmigung erteilt. Sobald die Baufreigabe erteilt ist, hat der Bauherr grünes Licht, trotz der Widersprüche, die Nachbarn eingelegt haben, die jedoch laut Stadt keine aufschiebende Wirkung haben.
Fragt man den Bauherrn, zieht sich das ganze Verfahren ohnehin schon viel zu lange. „Den ersten Bauantrag haben wir im November 2022 gestellt“, sagt Markus Haußmann, Architekt aus Nürtingen. Damals gab es laut Stadt Kirchheim mehrere Einwendungen aus der Nachbarschaft. Anschließend, sagt der Architekt, sei er von der Stadt aufgefordert worden, bei einigen Punkten nachzubessern. „Wir haben drei Stellplätze vor dem Haus gestrichen, um die geforderten 40 Prozent Grün zu erreichen“, sagt Haußmann. Auch die Dachaufbauten habe man schmäler gestaltet als zunächst geplant. „Aus Rücksichtnahme auf die Nachbarn haben wir auch Sachen geändert, die wir baurechtlich nicht müssten“, sagt der Architekt. Beispielsweise haben man auf der Giebelseite Fenster entfernt.
Die Nachbarn um Niels Böhling stellte das allerdings überhaupt nicht zufrieden. Sie finden, dass der „Klotz“ nicht in ihr ruhiges, grünes Wohngebiet passt. Der Anwohner wirft der Stadt vor, den 70 Jahre alten Bebauungsplan angewendet zu haben, den er als „Nachkriegs-Notstands-B-Plan“ bezeichnet. Der Plan ist in seinen Augen dringend veränderungsbedürftig oder sogar ungültig und sei von der Stadt nur angewendet worden, weil damit „maximale Nachverdichtung“ möglich sei. „Mal ist ein Bebauungsplan nicht mehr zeitgemäß, mal ist das Alte wieder gut, wenn es einem in den Kram passt“, ärgert sich Böhling, an dessen Grundstück künftig die Tiefgaragen-Zufahrt angrenzen würde.
Konflikte um Nachverdichtung gibt es immer wieder, aber bei der Stadt Kirchheim geht man davon aus, dass sie zunehmen werden. Ein Grund dafür sind die enorm gestiegenen Grundstückspreise, die dazu führen, dass mehr Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Architekt Markus Haußmann sagt, er habe für das 840 Quadratmeter große Grundstück inklusive Nebenkosten knapp eine Million Euro bezahlt. „Da ein Zweifamilienhaus drauf zu bauen, ist wirtschaftlich nicht darstellbar“, sagt er und beklagt: „Jeder fordert Nachverdichtung, aber nicht vor der eigenen Haustür.“
Was Nachbarn fordern können – und was nicht
Abstand Nachbarn können unter anderem verlangen, dass ein neues Gebäude ausreichend Abstand zu ihrem Grundstück einhält. Details sind in der Landesbauordnung geregelt.
Parken Dass durch ein neues Gebäude Parkplätze an der Straße entfallen, ist laut Stadt baurechtlich nicht relevant, da kein Anspruch auf Parken an der Straße besteht. Auch ein mögliches höheres Verkehrsaufkommen spielt keine Rolle.
Sonne Häufig führen Neubauten dazu, dass bestehende Häuser beziehungsweise deren Bewohner weniger Licht abbekommen als bisher. Möglicherweise sinkt der Ertrag von Solaranlagen beziehungsweise die Installation einer PV-Anlage lohnt sich gar nicht. Das muss man laut Stadt hinnehmen, solange die Abstandsflächen eingehalten werden.
Ästhetik Argumente wie Ästhetik, Reduzierung der Lebensqualität und Veränderung des Charakters eines Wohnviertels sind baurechtlich nicht relevant. adö
Kommentar: Ein Zurück ist unrealistisch
Mit den Mehrfamilienhäusern ist es wie mit den Windrädern: Sobald sie in der eigenen Nachbarschaft entstehen sollen, ist es meistens aus mit der Toleranz. Das ist verständlich. Wenn die Welt da draußen immer unberechenbarer wird, dann soll wenigstens vor der eigenen Haustür alles so bleiben, wie es immer war. Auf der anderen Seite gibt es Tatsachen, an denen auch die Nachbarn im Raunerviertel nicht rütteln können. Zum Beispiel, dass der Quadratmeterpreis in ihrem Teil des Quartiers zwischen 2016 und 2022 von 490 auf 680 Euro gestiegen ist. Der Wunsch, dass auf dem Grundstück in der Römersteinstraße wieder ein Häuschen mit viel Grün entsteht, ist deshalb unrealistisch. Zumindest momentan. Wer dort ein Einfamilienhaus bauen will, hätte allein fürs Grundstück eine Million Euro berappen müssen. Selbst eine Doppelhaushälfte wäre bei solchen Bodenpreisen kaum verkäuflich. Dass auf Grundstücken wie diesen Mehrfamilienhäuser entstehen, ist angesichts hoher Grundstückspreise die logische Konsequenz. Ob einem das gefällt oder nicht. Antje Dörr