Kirchheim
Armut führt direkt aufs digitale Abstellgleis

Vorstoß Wer keine Mittel für PC und Internet hat, kann leicht in soziale Isolation geraten. Die Diakonie kämpft dagegen mit Spenden und politischen Forderungen. Von Thomas Zapp

Die Corona-Zeit erschwert persönliche Begegnungen und verstärkt damit einen Trend, der vor allem für einkommensschwache Schichten zum Problem wird. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben läuft zunehmend digital. Doch dazu bedarf es eines funktionierenden Internetzugangs, der nötigen Hardware und zumindest grundlegender IT-Kenntnisse. „Das Thema wird uns sicher noch eine Weile beschäftigen, auch nach Corona“, ist sich Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim, sicher. Die Diakonie hat digitale Erste Hilfe geleistet und von einer Spende der Otto-Ficker-Stiftung 20 Laptops angeschafft, die sie zu günstigen Konditionen an Menschen mit geringem Einkommen weitergibt. Zehn davon sind schon an den Mann oder die Frau gebracht worden.

Bereits im vergangen Jahr hatte die Diakonie für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien 120 Laptops zur Verfügung gestellt. Die hatten die Folgen der Corona-Pandemie zunächst am meisten gespürt. 24 Prozent der Kinder aus Familien, die vom Existenzminimum leben müssen, haben keinen Zugang zu einem internetfähigen PC. So steht es im Positionspapier „Digitalisierung und Armut“ der Diakonie Deutschland. Doch dabei bleibt es nicht. Dass diese Probleme nicht nur Schülerinnen und Schüler treffen, sondern auch die Erwachsenen, wird Markus Buck bei seiner Arbeit täglich aufs Neue vor Augen geführt. „Wir stellen in den Beratungsgesprächen fest, dass es nicht nur Schüler sind, denen Geräte fehlen oder WLAN-Anschlüsse, sondern auch Erwachsene“, sagt der Sozialarbeiter und Diakon, der auch das Kirchheimer Wohnprojekt „Gute Stube“ leitet.

Buck nennt das Beispiel eines von ihm betreuten Klienten, der im Sommer häufig das Freibad im Nachbarort genutzt hat. Ohne vorherige Online-Anmeldung und dem Ausdruck der Bestätigung kommt er aber nicht ins Bad. Aber wegen seiner prekären Situation fehlt ihm der digitale Zugang. Auch die Alternative, den QR-Code über das Handy zu buchen, ist für ihn mit seinen begrenzten Mitteln nicht möglich.

Studium kurz vor dem Abbruch

Oder die Tochter einer Frau, die als Putzfrau arbeitet und ein geringes Einkommen hat: „Das Studium wurde auf digital umgestellt, und sie bekam mit ihren begrenzten Möglichkeiten große Probleme, etwa bei Videokonferenzen, das Studium stand kurz vor dem Abbruch“, sagt Reinhard Eberst. Die Flatrates seien oft zu teuer, ergänzt er. „Die günstigen liegen bei rund 20 Euro im Monat und haben dann eine zweijährige Bindung.“ Für jemanden, dem 350 Euro pro Monat zum Leben bleibe, sei das zu viel und treibe ihn in die Schuldenfalle. „In Deutschland sind die Verträge teuer, Vergünstigungen für Bezieher von Arbeitslosengeld II gibt es aber nicht“, sagt er. Dabei sei Internet schon längst kein Luxusgut mehr, sondern Voraussetzung für digitale und damit auch soziale Teilhabe.

„Das hat sich während des Lockdowns besonders bemerkbar gemacht“, sagt Markus Buck. Viele seien nicht nur von sozialen Kontakten, sondern auch von der Arbeitswelt und den Behörden abgeschnitten gewesen. Bei vielen Ämtern habe es einfach keine Präsenztermine mehr gegeben. Mittlerweile könne man auch den Anspruch auf Arbeitslosengeld I und II anmelden.

Bundesweites Programm

Die Diakonie Deutschland schlägt daher ein bundesweites Programm „Digitale Beteiligung“ vor, mit dem in vier Jahren digitale Zugänge für alle Bevölkerungsgruppen geschaffen werden sollen. Sie fordert von der Bundesregierung dazu eine beitragsfreie öffentliche WLAN-Infrastruktur mit mittlerer Datengeschwindigkeit. Auch Schulungsangebote seien notwendig. „Geräte sind das eine, Kompetenzen das andere“, erklärt Reinhard Eberst.

Was die Hilfen bewirken können, erfährt er immer wieder aufs Neue. Eine Kirchheimer Mutter hat sich persönlich bei der Diakonie bedankt. „Mein Sohn hat das Laptop nicht nur im Online-Unterricht genutzt, auch hatte er vor Kurzem sein erstes virtuelles Vorstellungsgespräch mit dem Laptop geführt.“