Die medizinische Grundversorgung ist ein Thema, das jeden von uns betrifft. Dabei sollten finanzielle Aspekte eigentlich eine untergeordnetere Rolle spielen. Dass dem nicht so ist, legt der Arzt Thomas Strohschneider in seinem Buch „Krankenhaus im Ausverkauf – Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit“ offen.
Mehr als 30 Jahre lang war Strohschneider als Chirurg in zahlreichen Kliniken tätig, zuletzt war er acht Jahre Chefarzt einer Gefäßchirurgie in Stuttgart. Mit großer Sorge hat er in dieser Zeit verfolgt, dass die Privatisierung von Kliniken immer weiter voranschreitet und mehr und mehr Krankenhäuser geschlossen werden. 2021 hat er sich aus dem Klinikbetrieb zurückgezogen und sich, unter anderem, an den Schreibtisch gesetzt: Seine Beobachtungen und Erfahrungen in einem immer mehr auf Rendite ausgerichteten Krankenhauswesen hat er in einem Buch aufgeschrieben. Das ist mittlerweile so stark nachgefragt, dass Strohschneider bundesweit zu Vorträgen und Lesungen eingeladen wird.
„Es soll ein Warn- und Weckruf sein“, sagt Strohschneider, denn Krankenhäuser seien in Deutschland und Europa längst zum Spekulationsobjekt international agierender Konzerne geworden. Wo Gewinnmaximierung über dem Wohl der Patienten stehe, sei nicht nur die Gesundheits- und Daseinsfürsorge der Bevölkerung in Gefahr, sondern die ärztliche Profession als Ganzes bedroht.
In seiner Zeit als Chefarzt in einer privatwirtschaftlich geführten Klinik hat Strohschneider vier Krankenhaus-Geschäftsführer und drei Kaufmännische Direktoren sowie Neueröffnungen und Schließungen zahlreicher medizinischer Abteilungen erlebt. „Wenn das Ergebnis der Klinik am Ende des Geschäftsjahres nicht stimmt, dann wird der nächste Geschäftsführer eingesetzt.“ Kontinuität sehe anders aus. Dabei sei gerade diese die Basis für das Vertrauen von Patienten und zuweisenden Ärzten in eine Klinik.
Die problematischen Folgen der Kommerzialisierung im Krankenhauswesen sind längst bekannt. Der Widerstand aus Ärzteschaft und verschiedenen Organisationen richtet sich unter anderem gegen die Einflussnahme großer Klinikkonzerne auf das deutsche Krankenhauswesen und die politisch geförderte Schließung von immer mehr Kliniken. In keinem anderen Land der Welt seien so viele Kliniken und Klinikbetten in privatwirtschaftlicher Hand – fast 40 Prozent. Strohschneider fordert ein Umdenken: Kliniken müssten ausschließlich dem Gemeinwohl und der Daseinsvorsorge der Bevölkerung dienen und deshalb müsse die Entwicklung der letzten 25 Jahre gestoppt werden. „Öffentlich-rechtliche und karitative Träger geraten wegen des vorwiegend gewinnorientierten Agierens der privaten Klinikkonzerne zusätzlich unter Druck. Sie müssen die Grundversorgung der Bevölkerung garantieren und deshalb beispielsweise Kinderkliniken und Gynäkologien vorhalten, womit derzeit kein Geld verdient wird.“
Private Betreiber seien nicht in erster Linie am Wohlergehen der Patienten, sondern an Gewinnmaximierung interessiert. Wenn sich ein Klinikkonzern auf die lukrativen Fachbereiche, beispielsweise die sehr gut vergütete Orthopädie, konzentriere, trete er in Konkurrenz zu den anderen Kliniken und nehme diesen einen Teil der Patienten weg, mit deren Erlösen diese bisher andere Fachbereiche querfinanziert hätten.
Thomas Strohschneider fordert, dass Krankenhausschließungen insbesondere im ländlichen Bereich nicht nach wirtschaftlichen Kriterien entschieden werden dürften, sondern ausschließlich nach Kriterien der Daseinsvorsorge und in Abstimmung mit der Bevölkerung. „Gerade im ländlichen Raum sollte man sich die Frage stellen, ob es den Bürgern zumutbar ist, dass sie bis zur nächsten Klinik 30 Minuten oder länger benötigen, um eine Akutversorgung zu bekommen.“
Krankenhäuser sollten keine Gewinne machen dürfen
Um aktuellen Entwicklungen entgegenzutreten, muss laut Thomas Strohschneider eine weitgehende Rekommunalisierung von Kliniken erfolgen. Allein schon die Rückkehr zur bis 1985 geltenden gesetzlichen Regelung, dass Krankenhäuser keine Gewinne machen dürfen oder dass diese wieder ins Gesundheitssystem zurückfließen müssen, würde seiner Ansicht nach dazu führen, dass international agierende Konzerne das Interesse am Krankenhauswesen verlieren würden.
Einen Grund für die prekäre Situation sieht Strohschneider auch im 2003 eingeführten Abrechnungssystem, den sogenannten „Fallpauschalen“. Hier erfolgt die Abrechnung einer stationären Behandlung im Wesentlichen nach einer Hauptdiagnose. Patienten mit vielen weiteren Begleitdiagnosen seien dagegen nicht erwünscht, denn Aufwand und Erlös rechnen sich nicht. „Solche Patienten will man am liebsten von der eigenen Klinik fernhalten.“ Um also im gleichen Zeitraum maximal viele Fälle und schwere Diagnosen abrechnen zu können, wurden Liegezeiten verkürzt und die Fallzahlen erhöht, erklärt der Mediziner.
Nur Kliniken, die mit möglichst geringen Kosten kranke Menschen in möglichst kurzer Zeit behandeln, machten damit auch tatsächlich Gewinne. Das führe zum Verlust einer zeitaufwendigen, empathischen Medizin. „Es bedarf eines Paradigmenwechsels“, fordert Strohschneider. bb