Es tut sich was am zentralen Platz auf dem Kirchheimer Schafhof. Im Wieselweg 7, wo einst der Schlecker-Markt sein Domizil hatte und wo es nebenan über die Jahre hinweg unterschiedliche gastronomische Angebote gab, ist ein offenes Künstleratelier eingezogen. Die Fenster sind nicht verhängt
oder verhüllt, und bei Atelierbetrieb steht auf der grünen Tafel an der Eingangstür der Hinweis „geöffnet“ nebst der freundlichen Aufforderung „bitte klopfen“.
Alle, die vorbeikommen, sollen sich eingeladen fühlen, Künstlern bei der Arbeit über die Schulter zu schauen, ins Gespräch zu kommen oder auch einen Kaffee mit ihnen zu trinken. Eine richtiggehende Gastronomie gibt es nicht, aber die Kaffeemaschine lässt sich jederzeit anwerfen – und eine andere Maschine sorgt für frisch gepressten Orangensaft. Je nach Witterung und Jahreszeit können die Gäste auch vor dem Atelier Platz nehmen, was für eine Belebung des „Dorfplatzes“ sorgen soll.
Regelmäßige Ausstellungen zeigen Werke renommierter Künstler. Lesungen gehören ebenso zum Angebot wie Konzerte. Künstlerische Vielfalt ist im Projekt „wieweg“ also Programm. Claudia Zeller-Sauter, Geschäftsführerin der gemeinnützigen „wieweg“-GmbH, legt Wert darauf, dass sich die Kunst nicht auf die Bildende Kunst beschränken soll. Kürzlich sei jemand dagewesen, der Piktogramme entwirft. Das ist nicht die klassische Kunst. Aber die Grenzen zwischen Kunst, Design und handwerklichem Gestalten sind ohnehin fließend. Claudia Zeller-Sauters Definition von Kunst schließt auch digitale Arbeiten, Fotografie oder Musik mit ein. Selbst Kochen würde sie von der Kunst nicht ausschließen wollen.
Ihr Mit-Geschäftsführer Stefan Voigt spricht lieber vom kreativen Arbeiten: „Den Begriff ,Kunst’ mag ich gar nicht so sehr.“ Ihm schwebt eher Interdisziplinäres vor – „am besten noch mit der Wissenschaft verknüpft“. Er geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt: „Auch Utopien von Stadtplanern können aus meiner Sicht dazugehören.“
Offenheit als Programm
Der Name „wieweg“ ist zunächst einmal die Abkürzung von Wieselweg. „Mit ,wie’ beginnen aber auch Fragen. Und wir wollen es bewusst offen lassen, welche Wege hier eingeschlagen werden“, sagt Claudia Zeller-Sauter. Bei der Offenheit als Programm geht um mehr als die offene Tür und die freie Sicht durch die Fenster.
Wie es weitergeht, bleibt eine spannende und faszinierende Frage. Stipendiaten sollen dazu beitragen, diese Frage immer wieder neu zu beantworten. Die beiden Geschäftsführer von „wieweg“ wollen jungen, aufstrebenden Künstlern eine Chance geben, sich möglichst frei zu entfalten. Zu den Räumen gehört außer dem Atelier auch eine Wohnung. Für Stefan Voigt wäre es optimal, wenn zwei Personen zur gleichen Zeit gefördert werden könnten. Sie sollten aus möglichst unterschiedlichen Richtungen stammen, sich aber trotzdem wechselseitig in ihrer Arbeit beraten und inspirieren.
Bei der Kunst handelt es sich um einen Spagat: Einerseits geht es darum, ein Stipendium zu vergeben, mit dem auch Erwartungen verbunden sind. Andererseits geht es um die Kunstfreiheit. Stefan Voigt: „Kunst ist immer auch ein Experiment. Und bei Experimenten muss man durchaus mit der Möglichkeit rechnen, dass sie scheitern können.“
Claudia Zeller-Sauter sieht einen weiteren Spagat in der Definition von „echter“ Kunst gegenüber Kunstgewerbe oder ambitioniertem Hobby: „Kunst ist eigentlich immer elitär und darf das auch sein. Aber trotzdem wollen wir ein möglichst breites Publikum ansprechen und niemanden ausschließen, der sich für Kunst interessiert.“
Vielleicht gelingt es ja, mit dem Konzept des offenen Ateliers und des unverbindlichen Künstlergesprächs diesen Spagat hinzukriegen und die Kluft zwischen elitärer Kunst und egalitärer Gesellschaft zu überbrücken. Kommunikation jedenfalls ist die Grundvoraussetzung für Verständnis. Wer im oder mit dem „wieweg“ kommunizieren möchte, kann dienstags von 14 bis 18 Uhr oder mittwochs von 9 bis 13 Uhr vorbeischauen – oder, „bei Atelierbetrieb“, auch an anderen Tagen. In diesem Fall gilt: „einfach klopfen“. Elektronisch anklopfen lässt sich per E-Mail an die Adresse claudia@wieweg.org.