Im Capoeira-Workshop der Familien-Bildungsstätte Kirchheim lernen Kinder die Kunst aus Kampf, Musik und Tanz
Auf den 
Tanzspuren der Sklaverei in Brasilien

Schuhe ausziehen, Wasserflaschen und Snacks zur Seite stellen und es kann losgehen. „Ich hoffe. ihr habt euch gut ausgeruht?“, sagt Trainerin Manuela


Melissa Seitz

Langhammer da Sivla. Schon am Tag zuvor nahmen die sieben Jungen und Mädchen im Alter von fünf bis zehn Jahren an ihrem Workshop teil. Einige Bewegungen aus der Kampfkunst Capoeira lernten sie also schon gestern, und heute soll es weitergehen.

Capoeira ist eine afrobrasilianische Kunstform, in der Kampf, Musik und Tanz miteinander verschmelzen. Durch die Kolonialisierung Brasiliens im 16. Jahrhundert durch die Portugiesen begann auch die Entwicklung der Sklaverei brasilianischer Einheimischer und später auch der afrikanischen Völker. Die afrikanischen Sklaven brachten ihre Kultur in Verbindung mit der brasilianischen, und dadurch entstand ein Ausdruck des Freiheitskampfes, der Capoeira. Auch wenn diese Kunstform anfangs Missfallen erregte und sogar zwischenzeitlich verboten wurde, findet sie heute immer mehr Anhänger.

„Heute habe ich auch einige Instrumente für euch dabei“, sagt die Capoeira-Lehrerin und zeigt auf einen Gegenstand, der ein wenig wie ein Schießbogen aussieht. Bei dem Gegenstand handelt es sich um den Musikbogen namens Berimbau. Es besteht aus einem Holzstock, einem Draht als Saite und einem ausgehöhlten Kürbis. „Den Kürbis nutzen wir als Klangkörper.“ Capoeira lebt von der Musik und seinem wichtigsten Instrument, dem Berimbau. Halbbrasilianerin Manuela Langhammer da Silva spielt ein paar Töne.

Aber nun zum sportlichen Teil, denn Musik wird später noch einmal gespielt. „Erst müssen wir uns aufwärmen“, sagt die Capoeira-Lehrerin und geht ein wenig in die Hocke, in die sogenannte Cadeira-Position. Siehe da: Die Jungen und Mädchen können sich noch an die letzte Stunde erinnern und machen mit. „Könnt ihr euch auch noch erinnern, welches Spiel wir letzte Stunde gespielt haben?“ Ruben weiß es sofort: „Tiere nachmachen!“ Spinne, Hase, Frosch und Krebs – kein Problem für die beweglichen kleinen Tänzer. Quer durch den Raum bewegen sie sich nun in der für das Tier typischen Gangart. Kindsein ist anstrengend, Tiersein anscheinend auch, deswegen ist kurz Zeit für eine kleine Trinkpause, bevor es mit dem eigentlichen Workshop weitergeht.

Radschlagen, oder Au, wie es im Capoeira bezeichnet wird, ist eine weitere wichtige Grundbewegung. „Kann denn schon jemand ein Rad schlagen?“, fragt Manuela Langhammer da Silva in die Runde und schwups – da schlagen Theo und Cassandra vor ihren Augen ein Rand. Doch jetzt mal halblang, alles nacheinander. „Erst mal laufen wir wie ein Esel und schlagen immer wieder mit den Beinen in die Luft, wir tasten uns langsam an das Rad heran.“ Das klappt ja schon mal super, und auch der Kopfstand auf den Matten scheint den kleinen Capoeira-Künstlern Spaß zu machen. Wichtig hierbei: Hände und Kopf nicht auf eine Linie setzen und die ganze Kraft in die Hände verlagern.

Es ist Zeit, den Capoeira nun wirklich zu tanzen. Los geht es mit einem weiteren Grundschritt, dem Ginga. Das bedeutet: rechtes Bein nach hinten und rechte Hand vor das Gesicht, jetzt umgedreht, linkes Bein nach hinten und linke Hand vor das Gesicht und immer so weiter. Darauf folgt der Cocorinha, in dem man in die Hocke fällt und danach das Bein in die Höhe schwingt, das sogenannte Meia Lua. Die Choreo sitzt.

„Wow, das macht ihr super“, sagt Manuela Langhammer da Silva, „da machen wir doch gleich ein bisschen Musik dazu.“ Die Capoeira-Trainerin nimmt das Berimbau in die Hand und fängt an zu spielen. In Zweierteams wird die Choreo durchgetanzt, doch dieses Mal mit einem kleinen Rad über den Fuß des Partners. Die Kinder haben ja nicht umsonst gelernt, wie man ein schönes Rad schlägt. Im großen Kreis, dem sogenannten Roda, zeigen die Teams nun, was sie können. Der Roda soll sinnbildlich für den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe stehen, aber auch Schutz bieten. Doch Schutz vor belächelnden Blicken brauchen die Jungen und Mädchen nicht. Nach nur zwei Tagen können sie einen echten Capoeira-Tanz. Die Atmosphäre ist super, es wird geklatscht und musiziert, während Mathilda und Cassandra im Roda ihren gelernten Kampftanz zeigen. Ein Team nach dem anderen begeistert die Capoeira-Lehrerin. „Ihr macht das wirklich super. Was haltet ihr davon, noch mal selber Musik zu machen?“, sagt Manuela Langhammer da Silva. Was für eine Frage?

Die letzten zehn Minuten brechen an, und die werden natürlich intensiv genutzt. Manuela Langhammer da Silva zeigt den Kindern alle Instrumente, die sie heute dabei hat: Berimbau, Pandeiro, Atabaque und Agogo. Theo trommelt auf der Atabaque den Tackt vor. „Und nun alle im gleichen Rhythmus wie Theo.“ Afrobrasilianische Klänge tönen durch das Gebäude der Familien-Bildungsstätte. So viel Disziplin und Leistung muss belohnt werden. „Jetzt spielen wir noch ein Spiel zum Abschluss.“ Aber Vorsicht! Es heißt nicht Feuer, Wasser, Sturm, sondern Cadeira, Au, Cocorinha. Doch diese Begriffe sind inzwischen für die kleinen Capoeira-Tänzer und -Tänzerinnen auch kein Problem mehr, denn die Bewegungen sitzen perfekt.

„So, wir sind am Ende“, teilt Langhammer da Silva den Kindern mit, „mir hat es Spaß gemacht und ich hoffe, euch auch. Ihr habt das super gemacht.“ Einige Kinder können anscheinend nicht genug bekommen und tanzen weiterhin durch den Raum. Was für ein Glück, dass in den Herbst- und Faschingsferien ein weiterer Capoeira-Workshop stattfinden wird. Fotos: Carsten Riedl