Kirchheim
Auf der Weinflasche wird es eng

Kennzeichnung Mehr Transparenz für die Verbraucher oder bürokratische Überregulierung? Künftig müssen auf Weinetiketten zusätzliche Angaben vermerkt sein. Was denken Winzer darüber? Von Karin Ait Atmane

Haben schon jemals Kunden nach den Inhaltsstoffen des Weins gefragt? Christine Anhut, Geschäftsführerin der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck, denkt kurz nach. „Kürzlich hat mal jemand gefragt, ob der Wein glutenfrei ist“, sagt sie dann. Aber ansonsten sei das nie ein Thema gewesen. Das ändert sich nun, denn seit dem 8. Dezember gilt die EU-Verordnung 2021/2117: Sie besagt, dass bei Wein und Weinerzeugnissen künftig auch die Nährwerte und Zutaten vermerkt werden müssen – zusätzlich zu den Angaben, die bisher schon auf dem Etikett standen. Das waren zum Beispiel die Bezeichnung des Weins, die Herkunft oder die Qualitätsstufe. Auch der Alkoholgehalt und der Hinweis auf Sulfite waren bisher schon zu finden.

Jetzt kommt noch einiges dazu, wobei nur der Brennwert – also die Kalorien beziehungsweise Joule – und die Allergene zwingend direkt aufgedruckt werden müssen. Zucker, Kohlenhydrate und die Zutatenliste können die Erzeuger auch digital hinterlegen, sodass sie über einen QR-Code abrufbar sind.

Winzer Helmut Dolde kam bisher mit einem Etikett pro Flasche aus - das wird in Zukunft nicht mehr reichen. Foto: Karin Ait Atmane

Das gilt seit dem 8. Dezember, allerdings nicht für Weine, die bereits hergestellt sind. Was damit genau gemeint ist, war bis zwei Wochen vor dem Termin nicht klar. Erst am 24. November hat die EU sich festgelegt und definiert, dass sie mit „hergestellt“ Weine meint, bei denen die Gärung abgeschlossen und damit der potenzielle Alkoholgehalt erreicht ist. Damit fällt der aktuelle Weinjahrgang noch nicht unter die neue Vorschrift. „Zum Glück“, sagt Helmut Dolde, „Garagenwinzer“ aus Linsenhofen, der seine Weine selbst ausbaut und vertreibt. Auch Christine Anhut ist erleichtert: Jetzt habe man im Frühjahr Zeit, die neuen Etiketten vorzubereiten. Das wird einiges Kopfzerbrechen mit sich bringen. Entweder muss man eine Nährstofftabelle, ähnlich wie bei Lebensmitteln, mit vorgeschriebenen Mindestmaßen und -schriftgrößen auf dem rückwärtigen Etikett unterbringen. Oder man setzt auf einen QR-Code, der zu den digital hinterlegten Angaben führt. Und nur zu diesen, denn werbliche Inhalte sind an dieser Stelle nicht erlaubt, womit auch nicht einfach auf bestehende Webseiten verlinkt werden kann. So oder so wartet eine Herausforderung auf die Grafiker. Besonders spannend wird es bei den kleinen Flaschen mit 0,2 oder 0,25 Litern, die die Weingärtner ebenfalls im Sortiment haben. Die Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck hat zudem erst in der Corona-Zeit ihre Etiketten umgestaltet und für jeden Wein einen kleinen Text aufgedruckt. „Der passt dann gar nicht mehr drauf“, sagt Chris­tine Anhut.

Bei alkoholfreien Weinen - hier einer von der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck - mussten auch bisher schon die Angaben aufgedruckt werden, die künftig für alle Weine Pflicht sind. Foto: Karin Ait Atmane

Helmut Dolde kam bisher sogar mit nur einem Etikett auf seinen „Bergweinen“ aus. Das wird definitiv nicht mehr reichen, folglich brauche er eine neue Maschine, die vorne und hinten Etiketten aufklebt. „Das macht 10 000 Euro“, sagt er – eine Menge Geld für einen Kleinbetrieb. Hinzu kommen Kosten für die umfangreicheren Analysen des Weins, und – falls er sich für die Variante mit dem QR-Code entscheidet – fürs Hosting. Der Haken dabei: „Die Daten müssen so lange vorgehalten werden, wie die Lebensdauer des Weines ist“, erklärt Dolde. Folglich müsse man „Speicherplatz für zehn Jahre oder länger mieten und bezahlen.“ Das summiert sich mit jedem Jahrgang weiter auf. Neu aufsetzen muss Dolde auch seine Preis­liste, die bisher auf ein Din-A4-Blatt passte, mit den neuen Angaben aber eher „ein Büchlein“ werde. Und auch auf der Website müssten die Angaben, zumindest über einen Link, hinterlegt werden. Das alles treffe gerade die Kleinbetriebe besonders hart und mache deren Wein teurer, sagt der Winzer aus Leidenschaft.

Bei der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck verteilen sich die Kosten auf alle. Sie werde auf QR-Codes setzen und könne das als Serviceleistung von der Zentralgenossenschaft buchen. Dort werden ihre Weine, zu denen auch die aus Weilheim gehören, ohnehin ausgebaut, analysiert und abgefüllt. „Das kostet dann bei jeder Abfüllung noch mal ein paar Euro mehr.“ Grundsätzlich hat Christine Anhut nichts gegen die Kennzeichnung. „Man hat ja nichts zu verbergen“, sagt sie. Aber ob die Käuferinnen und Käufer mit diesen Angaben etwas anfangen können? Das bezweifelt auch Helmut Dolde. Er findet den Restzuckergehalt sinnvoll – „das ist wichtig für Diabetiker“, ärgert sich aber „über die manchmal unsägliche Regulierungswut“. So oder so haben die Wengerter keine Wahl: Bei Nichtbeachtung der neuen Vorschrift drohen „knallharte Geldstrafen“, so Dolde, oder auch, dass der Wein vom Markt genommen werden müsse.