Zwischen Krisenerholung und Strukturbrüchen: So betiteln die Verantwortlichen der Agentur für Arbeit Göppingen, zu deren Bezirk die Landkreise Esslingen und Göppingen gehören, den Ausbildungsmarkt 2022/23. „Corona und dessen Auswirkungen haben wir weitestgehend hinter uns gelassen“, sagte Karin Käppel, Leiterin der Agentur für Arbeit Göppingen, bei einer Pressekonferenz zur Bilanz des Ausbildungsmarkts. Doch andere Herausforderungen seien geblieben und verlangten den Unternehmen in beiden Landkreisen viel ab.
Karin Käppel nannte beim Stichwort Strukturbrüche die Inflation, die Kriege in der Ukraine und Israel sowie die demografische Entwicklung und die wirtschaftliche Transformation, also die Weiterentwicklung und Neuausrichtung der Wirtschaft mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung. Auf den Ausbildungsmarkt wirke aber auch die sogenannte Generation Z (junge Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden) ein, die am Übergang zwischen Schule und Beruf andere Erwartungshaltungen als ihre Vorgänger-Generationen haben, ergänzte Käppel.
Die Generation Z habe „gewisse Wünsche an Arbeitgeber“, bestätigte Kati Schwenck, Teamleiterin der Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit Göppingen. Für diese jungen Menschen sei ein gutes Betriebsklima ebenso wichtig wie eine sinnstiftende Tätigkeit, eine gute Bezahlung, persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitsförderung. Von großer Bedeutung sei der Wunsch nach orts- und zeitflexiblem Arbeiten, ergänzte Kati Schwenck. Die Generation Z sehe zudem Führungskräfte nicht mehr als Chefs an, sondern vielmehr als Mentor, Coach und Motivator. Gefragt sei ein Feedback auf Augenhöhe.
Viele Arbeitgeber würden darauf reagieren und ihre Ausbildungen verändern, um attraktiv für künftige Azubis zu ein. So seien zum Beispiel Hierarchien abgeflacht worden und es sei in moderne IT-Technik investiert worden, um mobiles Arbeiten zu ermöglichen. Außerdem sei bei vielen Betrieben der gesamte Einstellungsprozess verändert worden: Es gebe nun vielerorts niederschwellige Möglichkeiten, eine Ausbildungsstelle zu erhalten. „Manchmal reicht schon eine Anfrage über Instagram“, nannte Kati Schwenck ein Beispiel. Alles werde lockerer angegangen. „Das ist schon eine bahnbrechende Veränderung.“
Karin Käppel informierte darüber, dass sich die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen sowie der Bewerberinnen und Bewerber im vergangenen Berufsberatungsjahr wieder angenähert haben – trotzdem übersteige die Zahl der Stellen die der Bewerber noch immer deutlich. „Die Palette an Ausbildungsstellen ist in den Landkreisen Esslingen und Göppingen breit aufgestellt und vielfältig.“ Junge Menschen, die an einer Ausbildung interessiert sind, „hatten ein ausgezeichnetes Angebot für den Einstieg ins Berufsleben“, gab die Agenturleiterin zu bedenken. „Sie und ihre beruflichen Ziele und Vorstellungen bestimmten dabei den Markt wie nie zuvor.“
Bettina Münz, stellvertretende Leiterin und Verantwortliche für das Operative Geschäft der Göppinger Arbeitsagentur, präsentierte dazu Zahlen: So sei die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen im Vergleich zum Ausbildungsjahr 2021/22 um 5,3 Prozent auf 5454 gesunken. 726 gemeldete Stellen blieben zum Ende des Ausbildungsjahres unbesetzt. Bewerberinnen und Bewerber fehlten vor allem im Einzelhandel und Verkauf, bei medizinischen Fachangestellten, im Lager, bei Handelsfachwirten, Elektronikern in der Energie- und Gebäudetechnik sowie bei Berufskraftfahrern und Köchen. Aus dem Minus bei den Ausbildungsstellen könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass sich Betriebe von der Ausbildung verabschieden. „Vielmehr bewegen sich die Ausbildungsstellen, die unserem Arbeitgeber-Service gemeldet wurden, jetzt wieder in Richtung Vorkrisen-Niveau“, erklärte Bettina Münz.
Bei der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber, die bei ihrer Ausbildungsplatzsuche die Berufsberatung der Arbeitsagentur eingeschaltet haben, sei ein Anstieg um 7,1 Prozent auf 3770 zu verzeichnen, sagte Bettina Münz. Dieses Plus zeige, dass sich junge Menschen wieder mehr für Ausbildung interessieren. Weil das Angebot gut war, habe „praktisch jeder“ die Chancen nutzen können. So kamen 70 Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Stellen.
Trotzdem sei es schwieriger geworden, Betriebe und Nachwuchskräfte zusammenzubringen. Unterschiedliche Vorstellungen treffen aufeinander. Die Folge: Mehr Ausbildungsstellen sind unbesetzt und mehr Bewerber unversorgt geblieben als im vorangegangenen Ausbildungsjahr.
Tiefgreifender Veränderungsprozess in der Arbeitswelt
Für den Kreis Esslingen verzeichnete die Arbeitsagentur im Ausbildungsjahr 2022/23 ein Plus bei den Bewerbern um fünf Prozent auf 2246 und bei den Stellen ein Minus um 2,1 Prozent auf 3467. Im Kreis Göppingen stieg die Zahl der Bewerber um 10,4 Prozent auf 1524. Die Zahl der gemeldeten Stellen sank um 10,5 Prozent auf 1987.
Mit Blick auf das folgende Jahr sagten Karin Käppel und Bettina Münz: Die Arbeitswelt befinde sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Weil immer mehr „Babyboomer“ aus dem Arbeitsleben ausscheiden, bleibe der Bedarf an Fachkräften hoch. „Und eine Ausbildung ist nach wie vor der erste Schritt ins Berufsleben.“ Das duale Modell der Berufsausbildung werde ein Erfolgsmodell bleiben – für Neulinge im Arbeitsmarkt und Unternehmen. hei