Kirchheim
Automatisierung: Nachhaltigkeit muss sich auch rechnen

Wirtschaft Discounter Lidl zeigt bei einem Rundgang durch das Kirchheimer Zentrallager Staatssekretärin Franziska Brantner und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, wie Vollautomatisierung und Umweltschutz zusammengehen. Von Thomas Zapp 

Wer sich an eine Szene aus einem „Terminator-Film“ erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Doch die Roboter verrichten eine friedliche Arbeit: In den Schutzkäfigen zischt und rattert es, mächtige Greifarme packen zu, heben und stellen Kartons mit Dosentomaten, Mais oder Gurkengläser in schwindelig machender Geschwindigkeit auf Paletten. Dazwischen rollen leere Paletten wie von Geisterhand über rotierende Walzen: Willkommen im Heiligtum des Kirchheimer Versandzentrums von Lidl, firmenintern „Autokomm“ genannt, ein vollautomatisches Kommissionierungslager, in dem die Menschen kontrollieren und überwachen, aber kaum noch Hand anlegen müssen, nur um die fertig kommissionierten Paletten mit „Ameisen“ und „Schnellläufern“ von A nach B zu fahren. Das „Depalletieren“ und „Kommissionieren“, also für die Filialen deren Bestellungen zusammenstellen, indem aus angelieferten Warenlieferungen kleinere Mengen aus- und passend zusammengepackt werden, erledigen die Roboter. Je nach Anfragevolumen gehen pro Tag 25 000 bis 38 000 Collies, so werden die Verpackungseinheiten genannt, durch das Lager. „Das Autokomm ersetzt das klassische Hochregallager, wir waren da in den letzten Jahren so ein bisschen das Versuchslabor für neue Entwicklungen“, erklärt Betriebsleiter Mario Sunjic stolz. Das Zentrallager Kirchheim war bundesweit das erste vollautomatisierte Kommissionierungslager für Lebensmittel.

Der sonst in puncto Öffentlichkeitsarbeit eher zurückhaltende Handelsriese hat an diesem Tag Besuch aus Berlin und Stuttgart: die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner ist im Ministerium von Robert Habeck auch dafür zuständig, Umweltschutz und Wirtschaftswachstum zu vereinigen. Gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden der Gründen im Landtag, Andreas Schwarz, hat sie dem Zentrallager einen Besuch abgestattet.

Der Discounter hat sich gut vorbereitet und zeigt ausführlich, wo eine Optimierung der Abläufe zur Nachhaltigkeit führen kann. „Die Folie besteht zu 80 Prozent aus Recyclat“, erklärt Claudius Güther, der in der Unternehmenskommunikation für Nachhaltigkeit zuständig und aus der Zentrale in Bad Wimpfen angereist ist. Dazu gehört auch, die Lkw optimal auszulasten. So wird ein Discounter plötzlich zum Nachhaltigkeitsvorreiter. Andreas Schwarz ist begeistert: „Nachhaltigkeit durch Effizienz, das nehmen wir mit“, sagt er. 

Franziska Brantner nimmt auch mit, dass es an vielen Stellen schneller gehen könnte, etwa was die Zulassung von recycelten Verpackungsmaterialien für den erneuten Gebrauch im Lebensmittelbereich betrifft. Bei der PET-Wasserflasche der Lidl-Eigenmarke liegt die Recycling-Quote bei 100 Prozent – außer dem Deckel und dem Etikett. Dadurch habe man 2021 immerhin mehr als 35 000 Tonnen Neuplastik eingespart. Bis 2025 sollen alle Eigenmarken zu 100 Prozent recyclingfähig sein. Plastik sei nicht per se schlecht, meint Claudius Güther. Es helfe schließlich, Waren zu schützen, das müsse man gegen den „Foodwaste“, also die Verschwendung von Lebensmitteln, gegenüberstellen. Andreas Schwarz hakt ein: „Am Technikum Laubholz arbeitet man mit Pflanzen an der Substituierung von Plastik“, erklärt er. Man sagt sich gegenseitig zu, im Austausch zu bleiben. „Machen Sie mehr Druck, dass wir schnell neue Standards bekommen“, sagt Franziska Brantner. 

Die Umweltziele der Gruppe gehen aber weit darüber hinaus: Reduzierung der Emission um 80 Prozent bis 2030 im direkten Betrieb, die Zahl der Photovoltaikanlagen auf den Dächern von derzeit 500 verdoppeln, Grünstrom und 450 vegane Produkte, deren wichtige Zutat Soja künftig ausschließlich aus europäischer Produktion kommen soll. „Der größte Hebel für die Einsparung von Emissionen sind die Lieferketten“, sagt Claudius Güther. 

Kaum ein Umwelt- und Politikfeld, das Lidl in seiner Präsentation nicht streift: Platzmangel in den Städten etwa oder Bauschuttentsorgung. Denn 80 Filialen im Großraum Stuttgart sind seit 2004 mindestens einmal erneuert wurden. „Verbundstoffe sind Sondermüll, eines der großen Problem der letzten Jahre“, weiß Franziska Brantner. Daher arbeite man heute mit anderen Baustoffen, die zu 100 Prozent recycelbar seien, inklusive Grünbedachungen und bewachsenen Wänden, erklärt Thomas Ertl, der im Großraum Stuttgart für die Immobilien der Lidl-Gruppe zuständig ist. 

Die Vollautomatisierung der Filialen ist vorläufig noch nicht geplant: also das Online-Bestellen und dann nur noch Abholen. „So etwas haben wir in der Schweiz, aber bei uns steht auch der soziale Austausch im Mittelpunkt“, sagt Claudius Güther. Franziska Brantner hat es in einem Amazon-Shop in England gesehen. „Die wissen dann genau, was Du gekauft hast“, meint sie. „Der Zeitpunkt ist noch nicht da, aber das ist wahrscheinlich eine Frage der Generationen. Die Jungen verstehen dann gar nicht, warum wir nicht schon alles vorher bestellen“, sagt Thomas Ertl.

Andreas Schwarz und Franziska Brantner werden es interessiert zur Kenntnis genommen haben: Ihr Weg führte anschließend weiter zum Bund der Selbständigen nach Kirchheim. 

 

In Kirchheim: Erstes vollautomatisches Kommissionierungslager für Lebensmittel

Das Zentrallager in Kirchheim an der Hegelstraße gibt es seit 2004. ursprünglich hatte es eine Lagerfläche von 16 764 Quadratmetern. Das vollautomatische Lager entstand 2011 im Zuge einer Erweiterung um 8400 Quadratmeter. Es war das erste seiner Art und ist bis heute im Lebensmittelbereich einmalig, schätzt Thomas Ertl. Der letzte Ausbau um 8100 Quadratmeter fand 2014 statt.

90 Filialen im Großraum Stuttgart werden von hier aus beliefert und 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Zwar gehört Kirchheim mit dem 44 000 Quadratmeter großen Gebäude nicht zu den größten unter den bundesweit 39 Zentrallagern der Lidl-Gruppe. Aber durch die Vollautomatisierung schafft es fast dieselbe Menge an Paletten wie die größten.