Kirchheim
Badwiesen-Sanierung: Alle müssen raus

Wohnen Die Kreisbau-Genossenschaft modernisiert ihr Wohngebiet in den Kirchheimer Badwiesen. Doch die Sanierung hat ihren Preis: Sie lässt die Mieten erheblich steigen. Was sagen die Bewohner dazu? Von Antje Dörr

Badwiesen: Das Wohngebiet im Kirchheimer Westen steht wie kein zweites für günstigen Wohnraum. Die durchschnittliche Kaltmiete liegt bei 6,28 Euro pro Quadratmeter und damit weit unter dem, was in Kirchheim mittlerweile aufgerufen wird. Hier leben Rentner, Familien, Flüchtlinge, Migranten und Alleinstehende, häufig mit geringem Einkommen, und oft schon seit Jahrzehnten. Einige der Blöcke gibt es seit den 1960er Jahren. Teilweise sind die Keller feucht, die Bäder museumsreif. Überall fehlt eine zentrale Heizungs- und Warmwasserversorgung, von einem Aufzug ganz zu schweigen. 

Nun packt die Eigentümerin, die Kreisbau-Genossenschaft Kirchheim-Plochingen, die Modernisierung des Wohngebiets von Grund auf an. „Badwiesen 2030“ heißt das Projekt. Alle Gebäude werden binnen zehn Jahren saniert, gedämmt, um Neubauten ergänzt und aufgestockt. Dazu kommen Tiefgaragen, Gemeinschaftsräume und Elektroauto-Ladestationen. 300 Wohnungen will die Kreisbau am Ende zur Verfügung stellen. Die Modernisierung hat ihren Preis: Laut Kreisbau-Genossenschaft werden die Mietpreise in den „neuen Badwiesen“ Stand heute voraussichtlich bei 10 bis 11 Euro pro Quadratmeter liegen. Aus dem günstigen Quartier wird somit ein Viertel, in dem sich bisherige Bewohner das Wohnen häufig nicht mehr leisten können. Was sagen die Betroffenen dazu? Wohin gehen sie, während „ihr Viertel“ umgebaut wird? Und können sie sich die Rückkehr überhaupt leisten?

Die Suche auf dem freien Markt ist für die meisten eine Sackgasse

Vor Haus Nummer 1-3 blühen Schneeglöckchen und Krokusse. Der Wohnblock wirkt verwaist, viele Briefkästen sind zugeklebt. Bis spätestens Ende 2022 sollen laut Kreisbau-Genossenschaft alle ausgezogen sein, auch für die Mieter der Badwiesen 5-7 läuft die Uhr. 48 der insgesamt 192 Wohnungen sind im ersten Bauabschnitt betroffen. Im Mai 2021 hatte die Kreisbau-Genossenschaft die Mieterinnen und Mieter schriftlich über die Sanierung informiert und Ersatzwohnungen angeboten. Einige haben das Angebot angenommen und ziehen in den Kreisbau-Neubau in der Schöllkopfstraße 105 um, der 50 Meter weiter wie der Bug eines Kreuzfahrtschiffs aufragt. Oder in einen der Wohnblöcke, deren Sanierung erst in drei Jahren ansteht. Auch der Umzug in eine andere Kreisbau-Wohnung ist eine Option. Man könne sich natürlich auch eine Wohnung auf dem freien Markt suchen, schrieb die Genossenschaft in dem Brief. 

Wer mit Kreisbau-Mieterinnen und Mietern über ihre finanziellen Möglichkeiten spricht, merkt schnell, dass die Suche auf dem freien Markt für die allermeisten eine Sackgasse sein wird. Sie können nur hoffen, dass die Genossenschaft eine passende Wohnung für sie findet – und dass sie sich diese Wohnung leisten können. So auch Familie E. (Name geändert). Für ihre unsanierte 80 Quadratmeter große Vier-Zimmer-Wohnung zahlt die Familie rund 1000 Euro warm, die Heizkosten sind mit 225 Euro hoch. „Mehr können wir nicht bezahlen. Ich arbeite alleine, habe drei Kinder“, sagt Vater Cengiz E., ein Taxifahrer. Gegen die Genossenschaft möchte er nichts sagen. „Wenn irgendwas kaputt war, sind die immer sofort da“. Die Kreisbau habe ihnen versichert, sie nicht „rauszuschmeißen“, aber bei den Angeboten war bisher offenbar nichts Passendes dabei. „In der Schöllkopfstraße soll ich 1200 Euro kalt bezahlen“, sagt Cengiz E. mit einer Empörung, aus der auch Hilflosigkeit klingt. „Da muss ich kriminell werden, um mir das leisten zu können“.

 

Die sanierte Wohnung wird am Ende 300 bis 400 Euro teurer sein.
Eine Mieterin

 

Vor Haus Nummer 5 parkt ein Umzugslaster. Zwei Männer schleppen eine Waschmaschine aus dem Haus. Irene F. steht vor ihrer Haustür und inhaliert den Rauch ihrer Zigarette. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Die Kirchheimerin zieht heute um, in eine andere Kreisbau-Wohnung. 479 Euro Kaltmiete zahlte sie bisher für ihre 62,5 Quadratmeter große Wohnung in den Badwiesen. Künftig sind es 949 Euro warm für 90 Quadratmeter, die neue Wohnung ist gedämmt. „Ich mache keinen schlechten Tausch“, sagt Irene F.. Allerdings müsse sich ihr Sohn, der mit ihr umzieht, an der Miete beteiligen. „Allein schaffe ich das nicht mehr“. Die Kreisbau hatte auch ihr den Umzug in eine der nahe gelegenen neuen Wohnungen in der Schöllkopfstraße angeboten. „Zu teuer“, winkt sie ab. „Das Gemeine war, dass alle Wohnungen mit Wohnberechtigungsschein schon vermietet waren“. In „ihre“ sanierte Wohnung in den Badwiesen zurückzuziehen, komme für sie nicht in Frage. „Die wird am Ende auch 300 bis 400 Euro teurer sein“. Traurig sei sie schon, dass sie nach 34 Jahren wegziehen müsse, sagt G. mit erstickter Stimme. „Die Nachbarschaft war toll. Wir haben Kellerpartys gefeiert, im Sommer gemeinsam gegrillt“. Auch „ihren Park“, den Blick ins Grüne, werde sie vermissen.

In Jeanette G.’s (Name geändert) Wohnung riecht es nach Farbe, der Fußboden ist abgeklebt. Die Kirchheimerin und ihr Partner sind dabei, notdürftig zu renovieren. So richtig lohnt es sich nicht: In drei Jahren, wenn der nächste Bauabschnitt in den Badwiesen beginnt, müssen sie auch hier wieder raus. Jeanette G. ist eine der Mieterinnen, die das Angebot der Kreisbau-Genossenschaft angenommen hat und in eine der alten Badwiesen-Wohnungen umzieht, während „ihre Wohnung“ saniert wird. Die Wohnung, in der sie die nächsten drei Jahre leben wird, und die in einem schlechteren Zustand ist als ihre bisherige, hat sie aus finanziellen Gründen annehmen müssen. „In die Schöllkopfstraße umzuziehen, hätten wir uns nicht leisten können“, sagt sie. Auf die Frage, ob sie die Miete in ihrer alten Wohnung nach der Sanierung noch bezahlen kann, zuckt Jeanette G. nur mit den Schultern. 

Umgang mit Kreisbau-Mietern: Gesprächsbereitschaft mit Grenzen

Umziehen Eine Kündigung hat kein Kreisbau-Mitglied in den Badwiesen erhalten. Die Genossenschaft teilt schriftlich mit, sie setze auf Gespräche. Und auf „attraktive Umzugsangebote“. Ein Beispiel sei die Umzugspauschale, also die finanzielle Unterstützung des Umzugs. Oder: Die Staffelmiete beziehungsweise eine geförderte Wohnung im Neubau Schöllkopfstraße 105.

Miete Dass Mieter künftig mehr bezahlen müssen, bestreitet die Genossenschaft nicht. „Wir können leider nur Wohnungen anbieten, die dann aktuell frei sind. Angemerkt sei, dass das eher keine ‘einfacheren’ Wohnungen sind, da kaum mehr welche in unserem Wohnungsbestand vorhanden sind“, schreibt die Kreisbau.

Ausziehen Von den 48 betroffenen Wohnungen in den Badwiesen seien derzeit 29 bereits leer, teilt die Kreisbau-Genossenschaft mit. Von den 19 verbleibenden Wohnungen hätten sechs ihre Zusage für den Umzug in die Schöllkopfstraße 105 gegeben, sieben hätten externe Lösungen gefunden. Bei sechs Mietern gebe es noch keine Lösung.

Konsequenzen Die Gesprächsbereitschaft der Kreisbau-Genossenschaft hat allerdings Grenzen. „Sofern er die angebotenen Optionen ‘Umzug in eine andere Wohnung’ oder ‘Umzug in eine Ersatzwohnung mit Option auf einen Rückzug in die neuen Badwiesen’ nicht annimmt, wird ein Mieter die Kreisbau verlassen müssen. Auch, wenn 23 von 24 Wohnungen leer stehen“, schreibt die Genossenschaft. Mit ihren Gästezimmern und Gästewohnungen gebe es immer noch Alternativen zum Überbrücken. „Sollte alles nicht klappen, werden wir leider auch rechtliche Schritte prüfen müssen. Denn es geht um die nachhaltige Sicherung des Wohnungsbestandes der Kreisbau für die Zukunft“, so die Kreisbau-Genossenschaft. Bei Bauverzögerung drohten immerhin Schadensersatzforderungen.

Bezahlbarkeit Die Kreisbau-Genossenschaft hat sich noch nicht festgelegt, wie viele Wohnungen nach der Sanierung für Menschen mit Wohnberechtigungsschein zur Verfügung stehen sollen. „Das hängt sicherlich auch von den dann gültigen Förderbedingungen ab“, schreibt die Kreisbau-Genossenschaft. Unabhängig davon werde man versuchen, circa 15 bis 20 Prozent nach dem Förderprogramm des Landes anzubieten. Angesprochen auf die vielen günstigen Wohnungen, die aufgrund der Badwiesen-Sanierung wegfallen, verweist die Kreisbau-Genossenschaft auf die Verantwortung der Politik. Das Landeswohnraumprogramm helfe nur bedingt, der Wegfall der KfW55-Förderung sei ein großes Ärgernis. „Alleine für den Neubau der 60 Wohnungen im Zuge der Innenentwicklung fehlen uns rund 1,44 Millionen Euro an KfW-Förderung“, beklagt die Genossenschaft. adö

Kommentar von Antje Dörr über bezahlbaren Wohnraum: Mieter werden verdrängt 

Kirchheim ist nicht Berlin. Und die Kreisbau-Genossenschaft ist kein ruchloser Immobilienhai, dem das Schicksal seiner Mieter einerlei ist. Dennoch findet in den Badwiesen etwas statt, das in großen Städten regelmäßig zu gewaltsamen Protesten führt: Gentrifizierung. Durch die Aufwertung und Sanierung von einstmals günstigem Wohnraum steigen die Mieten, und die bisherigen Bewohner werden verdrängt, weil sie sich das Leben in „ihrem Quartier“ nicht mehr leisten können.

Für viele Bewohner sind die sozialen und finanziellen Folgen dramatisch: Sie verlieren ihr Zuhause, das im besten Fall nicht nur Dach über dem Kopf, sondern auch Ort der Begegnung, der Freundschaft, der Nachbarschaft war. Sie müssen sich in einer überteuerten Stadt ein neues Zuhause suchen. Und das in einer Zeit, in der die Sprit- und Lebensmittelkosten durch die Decke gehen. Dass die Kreisbau-Genossenschaft sie nicht im Regen stehen lässt, ist nur recht und billig. Doch der Sprung, den die Quadratmeterpreise in den letzten zehn Jahren gemacht haben, dürfte viele der einstigen Badwiesen-Mieter, darunter etliche mit kleiner Rente und geringem Einkommen, über Gebühr belasten.

Fakt ist: Das Projekt „Badwiesen 2030“ sorgt dafür, dass günstiger Wohnraum vernichtet wird. Fakt ist aber auch: Die Kreisbau-Genossenschaft kann ihren Bestand nicht in dem beklagenswerten Zustand lassen, in dem er sich befindet. Die Wohnungen müssen modernisiert und energetisch saniert werden. Auf die Kreisbau-Genossenschaft zu schimpfen, greift deshalb zu kurz. Es ist eine staatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen nicht aus der Stadt gedrängt werden. Die Zahl gebundener Mietwohnungen, auch Sozialwohnungen genannt, muss deshalb deutlich gesteigert werden.