Es 8.29 Uhr – und am Bahnhof in Kirchheim ist die S 1 nicht in Sicht. „Eigentlich hieß es, dass sie um 8.20 Uhr fährt“, sagt Sherwin Parvizian, der von Kirchheim nach Wendlingen zu seinem Arbeitsplatz fahren möchte. Völlig unvorbereitet trifft ihn der Ausfall nicht. Er hat gehört, dass am Donnerstag die Lokführer streiken und hat sich vorsichtshalber um Alternativen gekümmert. „Ein Kollege hat angeboten, mich notfalls mit dem Auto abzuholen“, erzählt er. „Jetzt warte ich noch ein bisschen, und wenn kein Zug kommt, rufe ihn an.“
Der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) trifft an diesem Donnerstag auch Pendler und andere Fahrgäste aus Kirchheim und Umgebung. Angekündigt hatten die Deutsche Bahn und der VVS einen Notfallfahrplan, demzufolge die S 1 zwischen Herrenberg und Kirchheim als nachfragestärkste Linie in der Region im Stundentakt verkehren sollte. Zumindest am frühen Morgen klappt das allerdings noch nicht. Viele Fahrgäste scheinen sich aber darauf eingestellt und den Bus oder das Auto genommen zu haben: Nur wenige Menschen tummeln sich am Bahnsteig.
Zu denjenigen, die vergeblich auf die angekündigte Bahn um 8.20 Uhr gewartet haben, gehört auch Lina Mohammed. „Jetzt komme ich zu spät zur Arbeit nach Oberesslingen“, sagt sie. Noch länger steht Olha Poliska am Bahnhof. „Um 7.50 Uhr war keine Bahn da, und um 8.20 Uhr auch nicht“, sagt die junge Frau aus der Ukraine, die zu ihrem Deutschkurs nach Esslingen muss. „Vielleicht kann ich jetzt noch den Bus nehmen – oder ich verpasse den Kurs heute.“
Die Leitstelle war nicht besetzt
Dass der Stundentakt am Morgen noch nicht funktioniert, liegt daran, dass nicht nur Lokführer, sondern auch Koordinationskräfte in den Ausstand getreten sind. „Die Disposition hat heute morgen auch gestreikt“, informiert ein Sprecher der Bahn auf Anfrage. „Deshalb war die Leitstelle bis 8.30 Uhr gar nicht besetzt.“ Nach den Anlaufschwierigkeiten habe sich die Situation aber entzerrt und man könne den restlichen Tag über den Stundentakt einhalten.
Nervosität macht sich am Bahnsteig in Kirchheim unterdessen bei Philipp Ludwig breit. Der Schulsozialarbeiter der Freihof-Realschule in Kirchheim ist nämlich die Vorhut für drei Schulklassen sowie ihre Begleitpersonen. Sie wollen eine Präventionsveranstaltung im Klinikum Esslingen besuchen. „Ich soll für 90 Schüler Tickets am Automaten kaufen – und ich weiß noch nicht mal, ob der Zug fährt“, sagt er. Philipp Ludwig hat Verständnis dafür, dass die Lokführer streiken. „Das ist absolut okay“, betont er. Auch mit den Ausfällen kommt er klar. Schwierig findet er allerdings, dass verlässliche Informationen fehlen. „Ich wüsste einfach gerne, wann was tatsächlich fährt.“
Sorge um die Rückfahrt
Um 8.41 Uhr heißt es für ihn dann Aufatmen – und jede Menge Gruppentickets am Automaten kaufen: Die S 1 fährt an Gleis 2 ein und soll – so die Durchsage – um 9.20 Uhr Richtung Esslingen losfahren. Der Ausflug der drei Schulklassen der Freihof-Realschule kann also wie geplant stattfinden. „Jetzt hoffe ich nur, dass auch die Rückfahrt am Mittag klappt“, so der Schulsozialarbeiter.
Nach und nach füllen sich S-Bahn-Waggons. Unter denjenigen, die schon mal Platz genommen haben, ist Carola Abele. Auch sie hatte darauf gesetzt, die S1 um 8.20 Uhr nehmen zu können. „Sie war auch bis um 8.19 Uhr auf der digitalen Anzeigetafel am Bahnsteig angekündigt.“ Zu ihrem Arbeitsplatz an einer Esslinger Schule kommt die Kirchheimerin jetzt rund eineinhalb Stunden zu spät. „Ich habe schon Verständnis für den Streik“, sagt sie. „Aber der Ersatzverkehr sollte dann auch funktionieren, damit man pünktlich zur Arbeit kommt.“
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer hat kurzfristig einen flächendeckenden Streik von Mittwoch um 22 Uhr bis Donnerstag um 18 Uhr angekündigt. Betroffen davon ist der Regional- und S-Bahn-Verkehr sowie der Fernverkehr der Deutschen Bahn.