Der Wollmarkt lockt Besucher auf den Schlossplatz in Kirchheim
Bedeutender Umschlagplatz für den Rohstoff Wolle

Am kommenden Wochenende, 24. und 25. September, findet auf dem Schlossplatz wieder der Kirchheimer Wollmarkt statt.

Kirchheim. Schafe, Wolle und die Entwicklung der Stadt sind in Kirchheim eng miteinander verwoben. Nach der Einrichtung des Hauptlandes-Wollmarktes wurden von 1819 bis 1914 jährlich bis zu 10 000 Zentner im Wert von rund einer Million Gulden des damals für die Textilproduktion wichtigen Rohstoffs gehandelt. Ein Vergleich zeigt die Relation – im Jahr 1856 kostete eine Fahrt mit dem Postschiff von Mannheim bis Philadelphia 108 Gulden. Diese Tradition wird nun mit dem mittlerweile vierten Wollmarkt wieder aufgegriffen und am kommenden Wochenende gefeiert. Das Ensemble aus Schloss, Marstallgebäude, Altem Forsthaus und einem Teil der Stadtmauer bilden den Rahmen für den Markt. Anlässlich des Stadtjubiläums 2010 wurde der erste neue Wollmarkt abgehalten. Dieses Jahr bauen 54 Händler ihre Stände auf.

Nach den Kriegs- und Hungerjahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte das Königreich Württemberg alles darangesetzt, Landwirtschaft und Gewerbe zu fördern. Im rohstoffarmen Württemberg zählten Textilien aus Flachs und Wolle zu den wichtigen Handelsgütern. Um 1840 gab es im Königreich bereits einen Bestand von über 600 000 Tieren, im Oberamt Kirchheim allein zählte man damals 35 500 Schafe. Von der Einrichtung großer Wollmärkte im Land versprach man sich eine Verbesserung der Qualität und eine Anhebung der Preise durch eine gesteigerte Nachfrage.

Anfangs stand Kirchheim als Standort eines großen Wollmarkts nicht zur Debatte. Die Fürsprecher eines Wollmarkts in Württemberg legten Wert auf eine günstige Verkehrslage und brachten deshalb Heilbronn und Cannstatt, die beide Zugang zu Wasserstraßen hatten, ins Gespräch. Neben der Verkehrslage gewann allerdings immer mehr die Nähe zu den Erzeugern und Wolltuchproduzenten an Gewicht. Somit gerieten zunehmend Orte entlang der Alb, wo traditionell Schafzucht betrieben wurde, wie Göppingen, Heidenheim und eben Kirchheim in den Fokus. Am Ende konnte sich aber nicht eine einzelne Stadt durchsetzen, vielmehr wurden Konzessionen für Cannstatt, Esslingen, Heilbronn, Göppingen und Kirchheim erteilt. In Kirchheim wurde daraufhin der traditionelle Vieh- und Krämermarkt um einen achttägigen Wollmarkt erweitert, sodass am 21. Juni 1819 der erste Wollmarkt in der früheren Kaserne im Freihof stattfinden konnte. Probleme verursachte bald die Konkurrenz mit dem Göppinger Markt. Dort gab es seit jeher ein bedeutendes Wollgewerbe, und in den 1820er-Jahren waren erste Wollspinnfabriken entstanden. Ein Wollmarkt wurde dort erstmals 1830 abgehalten. Der Wunsch des Königs, man möge sich gütlich einigen, verpuffte wirkungslos. Räumliche und zeitliche Nähe führten dazu, dass beide Städte mit allen Mitteln versuchten, den eigenen Markttermin durchzusetzen. Schließlich gab ein Votum des Geheimen Rates Württembergs den Ausschlag: Am 7. Oktober 1836 wurde die Göppinger Marktkonzession „aus Gründen des höheren Staatswohls“ widerrufen. Kirchheim musste eine Entschädigung von 1 000 Gulden an die Stadt Göppingen bezahlen und wurde im Gegenzug zum Ausführungsort des Hauptlandes-Wollmarkt erhoben.

Bereits beim Wollmarkt 1836 wurden 665 271 Gulden umgesetzt, zeitweilig stieg der Umsatz auf über eine Million Gulden. 1841 besuchte König Wilhelm I. den Hauptlandes-Wollmarkt. Im Gegenzug stellten die Kirchheimer beim Stuttgarter Festzug anlässlich der 25-jährigen Regierungszeit des Königs einen opulenten Wagen bereit. Dieser wurde 2010 zum Stadtjubiläum nach einem Gemälde aus dem Staatsarchiv nachgebaut und wird heute von der Stadt und dem Trachtenverein Kirchheim bei verschiedenen Brauchtums-Veranstaltungen, wie beim Cannstatter Volksfest-Umzug, eingesetzt.

Die Zufuhr- und Verkaufsmengen von Wolle auf dem Kirchheimer Wollmarkt beliefen sich in den 1860er-Jahren trotz Marktschwankungen um 10 000 Zentner, 1868 als Spitzenwert 16 107 Zentner. Damit schaffte es der Hauptlandes-Wollmarkt Kirchheim im Wettbewerb um die höchste Bedeutung im Reich auf Platz vier nach Berlin, Breslau und Stettin. Das war nicht zuletzt auch der damals privat gebauten Eisenbahnverbindung nach Oberboihingen zu verdanken. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 folgte aber der schleichende Niedergang, der seinen Tiefpunkt im letzten alten Wollmarkt 1914 fand. Heute erinnert die Bezeichnung Wollmarktstraße und das von Bildhauer Ernst Gesser 1987 gefertigte Relief an der Außenmauer des Freihofs an die Glanzzeiten. pm