Kirchheim
Bedrohungslagen meistern

Ernstfall Wenn ein Unfall, Sabotage oder ein Systemausfall die kritische Infrastruktur wie Verwaltung, Telekommunikation oder Verkehr bedrohen, sind die Experten des Technischen Hilfswerks gefragt. Von Daniela Haußmann

Die Gruppe des Technischen Hilfswerks, die sich auf die Wiederherstellung der kritischen Infrastruktur spezialisiert hat: Gemeinsam packen sie da an, wo die Bürgerinnen und Bürger im Notfall keine Chance haben, sich selbst zu helfen. Fotos: Daniela Haußmann

Kritische Infrastrukturen, kurz „KRITIS“, bilden die Basis für die Funktions- und Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften. Dazu zählen zum Beispiel öffentliche Verwaltung, Transport- und Finanzwesen, Telekommunikation, Verkehr, Wasser-, Energie- oder Gesundheitsversorgung. Ein Ausfall oder eine Störung in einem dieser Bereiche kann laut Bundesinnenministerium weitreichende und teils dramatische Folgen haben, wie etwa Versorgungsengpässe oder eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit. Ausgeschlossen sind solche Situationen laut Dr. Andreas Baumann nicht. Der Ortsbeauftragte des THW Kirchheim berichtet, dass neben Sabotage, Systemversagen, Unfällen sowie Naturgewalten auch ein militärischer Konflikt zu folgenschweren Schäden an der hiesigen „KRITIS“ führen kann.

Der Fachmann muss es wissen, denn im Ernstfall überbrückt und repariert seine Organisation technische Anlagen und Verkehrswege. „Wir stellen sicher, dass die Bevölkerung weiter mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgt wird“, so Baumann. Eine Aufgabe, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Denn zwischen den genannten Bereichen gibt es teilweise massive Abhängigkeiten. „Ausfälle in einem Sektor können zu Ausfällen in weiteren Teilen der kritischen Infrastruktur führen und so einen Dominoeffekt auslösen, der die Lage verschärft“, klärt Oliver Kiedaisch auf. Der Experte des THW gibt ein Beispiel: „Bei einem längeren Stromausfall wäre der Verkehr gestört, die medizinische Versorgung eingeschränkt, und die Trinkwasserversorgung würde vielerorts zusammenbrechen. Die Bargeldwirtschaft käme zum Erliegen, Kassensysteme in Einkaufsmärkten wären außer Betrieb, bei Pharma- und Lebensmittelherstellern stünde die Produktion still.“

Bei verschiedensten Übungen im Gelände proben die Helferinnen und Helfer regelmäßig den Ernstfall. Foto: pr

Behörden und Firmen sind laut Andreas Baumann gesetzlich verpflichtet, Schutzkonzepte zu entwickeln, die Versorgungsausfälle verhindern oder deren Schadensausmaß reduzieren. Doch die dahinterstehenden Maßnahmen können an Grenzen geraten. Das gilt besonders im Verteidigungsfall, der sich, anders als etwa Naturkatastrophen, über einen längeren Zeitraum erstreckt und der Schäden in ganz anderen Größenordnungen mit sich bringt. „Gerade bei solchen großflächigen Ereignissen kommt das THW an Punkten zum Einsatz, wo die Bevölkerung am meisten profitiert“, so Baumann. „Sind zum Beispiel Verkehrswege zerstört, bauen wir Behelfsstraßen und Brücken, damit Hilfskonvois medizinische Güter und Nahrung zur Versorgung einer ganzen Region von A nach B liefern können.“

Panik vorbeugen

Die Technikspezialisten leisten noch mehr. Sie reparieren oder bauen beschädigte und zerstörte Strom- und Trinkwassernetze neu auf. Bei einer Kontamination mit Fremdstoffen stellen sie in einer mobilen Anlage pro Stunde bis zu 15 000 Liter Trinkwasser her, das sie nach einer Reinheitsprüfung im THW-Labor zu Speichereinrichtungen, Verteilstationen oder Ausgabestellen bringen. „Wir helfen also, die Auswirkungen einer Krise abzumildern und die Zeitspanne bis zur Wiederherstellung des Normalzustandes zu verkürzen“, sagt Oliver Kiedaisch. Das alles trägt laut dem Ortsbeauftragten Andreas Baumann dazu bei, Unruhe wie Panik vorzubeugen und das Vertrauen in die Behörden zu stärken.

Deshalb sei es laut den Experten aus Kirchheim wichtig, dass das Technische Hilfswerk im Verteidigungs- und Katastrophenfall bei längeren Stromausfällen etwa Krankenhäuser, Stadtwerke oder das Lagezentrum des Landespolizeipräsidiums über Notgeneratoren mit der nötigen Elektrizität versorgt. Das helfe, neben dem Schutz von Leben und Gesundheit auch die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten. „Gleichzeitig tragen Schutz und Wiederherstellung der kritischen Infrastruktur besonders in militärischen Konflikten dazu bei, die Widerstandskraft der Gesellschaft zu stärken“, sagt Baumann.

Kommunen brauchen Konzepte

Deshalb sei es nötig, dass Kommunen Konzepte für den Bevölkerungsschutz entwickeln und ihre Einwohner über alles Wissenswerte rund um die Themen Notversorgung, Erste Hilfe und sicheres Verhalten bei Gefahrenlagen ausführlich informieren. Dazu gehört für den Fachmann auch eine Aufklärung über mögliche chemische, biologische und nukleare Bedrohungen. Rettungsdienst, Feuerwehr und das THW, das als Bundesorganisation im Ernstfall überall in Deutschland zum Einsatz kommen kann, werden bei größeren Gefahrenlagen an vielen Stellen gebraucht.

Ein hoher Grad an gesellschaftlicher Selbstorganisation helfe deshalb, Krisen aller Art bis zum Eintreffen professioneller Hilfe durch die Einsatzkräfte zu überbrücken.

 

Drei Fragen an Oliver Kiedaisch

Wer kann Mitglied im THW werden?
Jeder, der sechs ­Jahre und älter ist, kann sich bei uns engagieren. Technische Vorkenntnisse oder eine Ausbildung im Handwerk sind dafür nicht ­nötig. Wir vermitteln spielerisch Wissen, technisches Verständnis und soziale Kompetenzen wie Hilfsbereitschaft und Teamgeist.
Was heißt das konkret?
Die Kinder und Jugendlichen lernen zum Beispiel den sicheren Umgang mit Werkzeug, wie man schwere Lasten bewegt oder aus Kanthölzern Abstützsysteme für ­instabile Mauern oder Decken baut. In Wettkämpfen und realitätsnahmen Einsatzübungen stellen sie ihr Können unter Beweis und bauen ihre Fähigkeiten aus. Wir bieten aber auch Ausflüge und viele spannende Aktionen zur Freizeitgestaltung an.
Können Erwachsene Mitglied werden?
Auch Erwachsene können eine zwölfmonatige Grundausbildung machen. An sie knüpft eine bis zu zwei Jahre dauernde Ausbildung in einer Fachgruppe an. Einheiten für Bergungstauchen, Sprengungen, Brückenbau, Elektroversorgung, Logistik und Wassergefahren sind nur einige Beispiele für das, was das THW an vielfältigen Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. dh