Was war es nun, das da am Sonntagnachmittag in der vollen Martinskirche Kirchheim geboten wurde? Musical, Crossover, Chorkonzert, Kirchenoper, ökumenisches Projekt, ein Gottesdienst oder ein Jesusical? Das Werk passte in keine Schablone, angefangen vom Thema „Der Weg des Paulus“ unter dem so vieldeutigen Titel „Komm zu uns“ bis zur Zugabe, einer Nummer von Udo Jürgens: „Ich glaube“.
Kein Wunder, dass die vielen Zuhörer zwar beeindruckt waren von der perfekten Darbietung aber trotzdem etwas ratlos blieben. Was sollten sie auch halten von der Story, wo doch seit Menschengedenken die Juden Opfer der Christen waren und nicht umgekehrt wie noch bei Paulus. Wer sich in der Bibel nicht gut auskennt, verstand nur Bahnhof in der Martinskirche.
Schwierige Übersetzung
Obwohl Pfarrer Rickelt in seiner Begrüßung die Paulus-Geschichte treffend aktualisiert hatte und der neuapostolische Gemeindevorsteher zu Recht auf die erfreulichen Fortschritte der ökumenischen Zusammenarbeit hinwies. Doch auch die „bibelfesten“ unter den Zuhörern hatten es nicht gerade leicht. Allzu bedenkenlos vermengt der deutsche Text Abschnitte aus dem Alten und Neuen Testament und würzt mit liturgischen und anderen Worten.
Der Drehbuchautor und Professor an der Medienhochschule Stuttgart, Jørn Precht, hatte die schwierige Aufgabe, den englischen Text des Pop-Oratoriums „Prince of Peace“ von Ralf Grössler so ins Deutsche zu übertragen, dass Silbenzahl und Betonung auf die ursprüngliche Musik passen. Das hätte man kaum besser machen können, aber ein plausibler Zusammenhang war so nicht zu erreichen. Precht rettete die Situation durch den genialen Einfall, den Apostel Paulus persönlich auftreten zu lassen. Die Rolle wurde von Peter Kaghanovitch ganz hervorragend gespielt. Sein Text war so kurz und knackig, wie es Paulus in seinen berühmten Briefen nie geschafft hatte. Wie diese merkwürdige Story vorgetragen wurde, einschließlich der leisen Töne gegen Schluss, das hat die Martinskirche noch nie erlebt.
Dass sich Martina Sturm mit Chor und Ensemble dagegen behaupten konnte, ist ein kleines Wunder. Keyboarder Michael Holder war absolut überlegen, ebenso Schlagzeuger Thilo Adam. Nie zu laut noch zu leise. Ohne die perfekte Aussteuerung durch Christian Sturm wäre das jedoch nicht möglich gewesen. Alle überragend nun Jonas Gawehn mit dem Altsaxofon. Teils von Noten, teils improvisierend verlieh er dem Ganzen die geniale Würze.
In diesem Umfeld mit einem Laienchor zu bestehen, ist das Verdienst von Martina Sturm. Kann man mehr erreichen, als dass sich ganz leicht anhört, was in Wirklichkeit affenschwer ist? Besonders wirkungsvoll war es, wenn eine kleine Chorgruppe allein oder im Wechsel mit dem großen Chor wetteiferte. Klangregie und Dirigat waren einfach bezwingend.
Zweite Heimat des Chores
Wenn der Verantwortliche der neuapostolischen Kirche in seiner Begrüßung die Martinskirche schon als zweite Heimat des Chores und seiner Hörergemeinde bezeichnet hat, dann wurde er durch die musikalische und religiöse Überzeugungskraft des Chores und seiner Dirigentin voll bestätigt. Da ist man schon versucht, von einem Gotteswunder zu sprechen. Womit wir wieder beim Thema Paulus wären. Doch das kann nicht mehr Gegenstand eines Zeitungsberichtes sein. Da ist Schluss bei „wunderbar“.