Kirchheim. Edith, Susanne und Andreas gehören zur Kirchheimer Al-Anon Familiengruppe. Anonymität ist wichtig. Die Teilnehmer der Selbsthilfegruppen sprechen sich daher nur mit dem Vornamen an. Im Fall von Edith, Susanne und Andreas ist er zudem frei gewählt. Jeden Mittwochabend treffen sich zwischen fünf und zehn Mitglieder. Ab kommender Woche finden die Treffen wieder wie gewohnt im evangelischen Gemeindehaus Schafhof in Kirchheim statt. Aufgrund der Corona-Pandemie gab es nun monatelang nur Online-Meetings.
Edith geht seit 1984 regelmäßig zu Al-Anon-Treffen. In der drei Jahre später gegründeten Kirchheimer Gruppe ist sie Mitglied der ersten Stunde und hat auch international bereits an Treffen teilgenommen, etwa in den USA und in Finnland. „Zu den Treffen kann man weltweit gehen, also zum Beispiel bei Bedarf auch während eines Urlaubs und nicht nur zu der Gruppe im eigenen Wohnort", erklärt Edith. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist für alle drei zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lebens geworden, auch wenn sie gar keinen Alkoholkranken mehr im direkten Umfeld haben. Ediths Mann ist bereits verstorben und war vor seinem Tod noch 28 Jahre lang trockener Alkoholiker. Den entscheidenden Ruck, etwas gegen die Krankheit unternehmen zu müssen, habe es bei ihm getan, als sein Arbeitgeber mit der Kündigung drohte, erinnert sich Edith.
Susanne und Andreas gehören zu den so genannten „erwachsenen Kindern“ aus alkoholkranken Familien. Auch sie haben das jeweils betroffene Familienmitglied nicht mehr um sich. Die Gruppe hilft dennoch, im eigenen Alltag zurecht zu kommen. Denn so manch ein Verhaltensmuster bleibt tief verwurzelt, wenn man nichts dagegen unternimmt. „Man lernt bei Al-Anon, auch nach sich selbst zu schauen und konsequent an sich zu arbeiten, statt den Betroffenen ändern zu wollen. Das ist unheimlich wichtig. Davor habe ich immer nur für andere funktioniert und hatte schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal nur ein Buch in die Hand genommen habe", berichtet Edith.
Susanne besucht die Treffen bis heute, obwohl die Kindheit und Jugend mit einem alkoholkranken Familienmitglied schon lange zurückliegt. „Als Kind merkt man zwar, dass etwas nicht stimmt, kann es aber nicht einordnen“, sagt sie. In alkoholkranken Familien wird gern viel vertuscht, die Probleme sollen nicht auffallen. Dazu kommt die ständige Unberechenbarkeit der Situation. „Eine Folge kann sein, dass man einen Kontrollzwang entwickelt. Da muss auch ich bis heute aufpassen, dass ich nicht allem und jedem im Alltag skeptisch begegne“, sagt Susanne.
Die Treffen und die Literatur dazu erinnern sie immer wieder daran, nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Für Andreas war Al-Anon lange kein Begriff, bis ihm seine Schwester davon erzählte, als es ihm nicht gut ging. „Sie hatte es für sich in Neuseeland entdeckt und mit nach Hause gebracht“, sagt Andreas. Auch er begann, die Treffen zu besuchen. „Ich habe sehr schnell gemerkt, dass es bei Al-Anon endlich Menschen gibt, die meine Probleme verstehen, ohne dass ich viel erklären muss.“
Geholfen habe ihm, dass er keine Ratschläge erhalten, sondern vielmehr erfahren habe, wie andere Mitglieder in vergleichbaren Situationen gehandelt und gefühlt haben. „Ich musste selber überlegen, was davon für mich hilfreich sein könnte und das in meinem eigenen Tempo ausprobieren“, erzählt Andreas. „Je länger ich dabei bin, um so mehr bin ich froh, dass mich dieses Programm so lange begleiten wird, wie ich möchte. Selbst wenn ich kein akutes Thema habe, darf ich doch jedes Mal etwas Neues für mich mitnehmen.“
Durch die Selbstreflexion komme man im Alltag besser zurecht, sind sich Edith, Susanne und Andreas einig. Zwölf Schritte, übernommen von den AA und auf das eigene Leben angewendet, sind konkret in der Präambel der Al-Anon Familiengruppen festgehalten. Etwa: „Wir machten eine gründliche und furchtlose moralische Inventur von uns selbst.“ Wer neu in die Gruppe kommt, kann sich anfangs auch einfach nur dazusetzen und zuhören.
Treffen in Kircheim finden jeden Mittwoch von 20 Uhr bis 21.30 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus Schafhof, Eingang Luchsweg, statt. Am 7. Juli gibt es nochmal ein Videokonferenz-Meeting. Am 14. Juli sind wieder Präsenz-Meetings geplant. Weitere Informationen gibt es unter der Telefonnummer 0 70 21/8 58 59 oder per E-Mail an meeting.kirchheim@gmail.com. Weitere Infos: www.al-anon.de.
Was ist Al-Anon?
Die Al-Anon Familiengruppen – kurz Al-Anon und Alateen – sind eine weltweite Selbsthilfeorganisation von Frauen, Männern, Kindern, Eltern, anderen Verwandten und Freunden von Alkoholikern. Mitglieder dieser Gruppen teilen ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung miteinander, um ihre gemeinsamen Probleme zu lösen: Angst, Ungewissheit, mangelndes Verständnis für sich selbst und den Alkoholiker und ein Leben, das durch die Familienkrankheit Alkoholismus stark beeinträchtigt ist.
Der Grundstein für die Al-Anon Familiengruppen – Al-Anon steht für „Alcoholic Anonymus“ – wurde 1951 in den USA gelegt. 1957 folgte dann die erste Alateen-Gruppe für Kinder und Jugendliche von alkoholkranken Eltern. Die erste deutsche Al-Anon Gruppe wurde 1967 in Mülheim an der Ruhr gegründet, die in Kirchheim gibt es seit 34 Jahren.
Al-Anon ist keine religiöse Vereinigung oder Beratungsstelle. Es ist kein Behandlungszentrum und mit keiner Organisation verbunden, die Therapien anbietet. Gebühren oder Beiträge werden nicht erhoben. Die Teilnahme an einer Al-Anon-Familiengruppe setzt nur voraus, dass das eigene Leben durch das Trinkproblem eines anderen nachteilig beeinflusst wird.
Anonymität ist bei Al-Anon von zentraler Bedeutung. Die Identität und die persönlichen Geschichten der Teilnehmer der Selbsthilfegruppen werden streng vertraulich behandelt.
Deutschlandweit gibt es aktuell etwa 500 Gruppen, weltweit sind es über 24 000 Al-Anon-Gruppen in mehr als 133 Ländern sowie rund 2300 Alateen-Gruppen für Jugendliche. Gruppen in der Umgebung sind im Telefonbuch zu finden. eis