Kirchheim
Besondere Fahrräder in Kirchheim: „Wir flitzen an allen vorbei“

Mobilität Fahrräder sind, besonders in der Stadt, für viele Menschen längst zum Autoersatz geworden. Wir stellen drei außergewöhnliche Räder und die Menschen, die dazugehören, vor. Von Antje Dörr

Vier Kinder? Kein Problem.

Diesen Anblick hat man nicht alle Tage: Auf dem Sattel des rauchblauen E-Bikes sitzt eine Mutter und hinter ihr auf einem überlangen Gepäckträger – wie Hühner auf der Stange – drei Kinder. Eigentlich gehört noch ein viertes dazu, aber das möchte heute nicht fotografiert werden. Die Mutter heißt Aline Theodoridou und ist Kirchheimerin, die Kinder sind alle ihre eigenen. Vormittags sind sie in der Schule und im Kindergarten, aber an den Nachmittagen, wenn ein Hobby das nächste jagt, ist das E-Lastenfahrrad ein echter Lebensretter. „Von hier bis zur Musikschule brauche ich mit dem Fahrrad vier Minuten“, sagt Theodoridou. Seit sie ihr E-Bike im Juni zum Geburtstag bekommen hat, steht das Auto meistens in der Garage und wird nur noch für längere Strecken genutzt. Stau, Parkplatzsuche, all das spielt für die Kirchheimerin seitdem keine Rolle mehr. Auch Großeinkäufe erledigt sie auf zwei Rädern. „Ich feiere das Rad total. Und auch die Kinder lieben es“, sagt sie. Ihr gehe es nicht wirklich ums Spritsparen, sondern um die Zeitersparnis. Und darum, dass die Kinder an der frischen Luft sind. Dass der „sportliche Faktor“ weg ist, findet sie allerdings ein bisschen schade. „Ich hatte vorher ein normales Fahrrad mit Anhänger“, sagt sie. Der Nachteil: „Eigentlich hätte ich immer drei Mal am Tag duschen können.“  

Seit Aline Theodoridou das E-Bike hat, um ihre Kinder zu ihren Hobbys zu fahren, spielen Stau und Parkplatzsuche für sie keine Rolle mehr. Foto Markus Brändli

Einfach mal rauskommen

Wie eine Königin thront Lore Munz auf dem roten Lederpolster der E-Rikscha, während Thomas Hepperle sie durch die Kirchheimer Innenstadt kutschiert. Ein besonderes Ziel haben die beiden nicht: Die 83-Jährige, die im Seniorenzentrum Sankt Hedwig in Kirchheim lebt, genießt es einfach, mal rauszukommen und den warmen Herbstwind zu spüren. Die Idee der Senioren-Rikschas, die hier in Kirchheim umgesetzt wird, kommt aus dem Fahrradland Dänemark. Das Motto lautet: „Jeder hat das Recht auf Wind im Haar“, und zwar auch dann noch, wenn man selbst nicht mehr radeln kann. Für die Esslingerin Lore Munz, die erst im hohen Alter nach Kirchheim gezogen ist, sind die Fahrten eine gute Möglichkeit, ihre neue Heimat besser kennenzulernen. „Ich freue mich, wenn ich ein bisschen was von Kirchheim sehe“, sagt sie. Thomas Hepperle, der für das Projekt „Rikscha Kirchheim unter Teck“ (RIKI) ein Mal pro Woche in die Pedale tritt, ist Ötlinger und auch in der Freizeit häufig auf seinem E-Bike anzutreffen. Munz und er kennen sich bereits seit Längerem, denn Hepperle fährt immer fürs Seniorenzentrum Sankt Hedwig – und die 83-Jährige ist eine der fitteren Bewohnerinnen, die das Angebot regelmäßig nutzen. „Man sollte schon noch in die Rikscha reinkommen“, antwortet sie schmunzelnd auf die Frage, ob sich die Ausfahrten für alle Bewohnerinnen und Bewohner eignen. Heute wollte oder konnte keine der anderen mit. Sonst seien sie häufig zu zweit, sagt Munz.

Info: Das Projekt RIKI wird getragen vom Seniorenzentrum Sankt Hedwig, dem Quartiersmanagement „wirRauner“, dem Besuchsdienst der Sanwaldstiftung, der Initiative FahrRad/Agenda 2030 Kirchheim und Buefet. Zwölf Fahrer sind wöchentlich für fünf Seniorenzentren, zwei Demenz-WGs und eine Pflege-WG in Kirchheim unterwegs.

Den Wind im Haar spüren - für die 83-jährige Lore Munz und andere Seniorinnen und Senioren, die nicht mehr selbst radeln können, geht das dank des Kirchheimer Rikscha-Projekts. Fotos: Markus Brändli

Die etwas andere Werkzeugkiste

Die Kirchheimer Stadtverwaltung setzt seit einiger Zeit auf elektrisch betriebene Lastenräder für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Benutzt werden sie von den Hausmeistern, um Werkzeug zu transportieren oder Post abzuholen. Auf dem Foto ist stellvertretend David Lempp zu sehen, Sachgebietsleiter für Gebäudemanagement bei der Stadt Kirchheim. Von seinen Mitarbeitern wollte niemand vor die Kamera. Für den Hausmeister der Freihof-Schulen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist das Lastenrad „eine echte Entlastung“ – und eine deutliche Verbesserung für die Hausmeister. „Davor mussten wir unsere privaten Pkw nutzen“, sagt er. Mit den Diensträdern fällt keine Abrechnung der Fahrten mehr an – und der Hausmeister kann direkt vorfahren, anstatt das Werkzeug vom Parkplatz zur Schule oder zum Kindergarten zu schleppen. Fünf städtische Kindergärten fallen ebenfalls in seinen Zuständigkeitsbereich. „Das Lastenrad ist wirklich unersetzbar“, sagt er. Drei Mal wöchentlich wird das Lastenrad zum Post-Fahrrad: Dann landet statt Werkzeug Post in der großen Truhe. Dazu kommen Fahrten fürs Stadtarchiv mit schwerem Transportgut. Dass er bei Wind und Wetter mit dem Rad unterwegs sein muss, stört den Hausmeister nicht. „Für unseren Job müssen wir uns eh praktisch anziehen“, sagt er. Dank der Truhe mit Deckel, über die das Rad verfügt, bleiben Post und Werkzeug vor Regen geschützt.